Eine Regierung der Zukunft braucht mehr Fantasie . . .

(c) Peter Kufner
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. . . . vor allem bei den möglichen Partnern. Wir sollten nicht nur an Koalitionsvarianten denken, die es bereits gegeben hat.

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Die bisherigen Ideen zu möglichen Regierungskonstellationen nach dem Wahltag sind fantasielos, streckenweise dumm und für die Republik möglicherweise sogar gefährlich. Natürlich haben wir die Wahl noch nicht hinter uns gebracht, aber verschiedene Festlegungen spielen eine Rolle, die natürlich je nach Wahlergebnis die Entscheidungen beeinflussen werden. Man soll daher systematisch an die Sache herangehen: Ich schließe zunächst eine absolute Mehrheit von Türkis aus, genauso aber, dass die SPÖ als Gewinner einer Mehrheit aus dem Wahlkampf hervorgehen wird.

Ich kalkuliere, dass Sebastian Kurz und die Türkisen den Regierungsbildungsauftrag vom Bundespräsidenten bekommen werden, der von sich aus keine Vorgabe zur Koalitionsbildung aussprechen wird. Genauso ist anzunehmen, dass die Freiheitlichen relativ rasch ihre „Drohung“ wiederholen werden, nur mit Türkis eine Regierung bilden zu wollen. Das halte ich für einen Erpressungsvorgang, wobei ich keine Drohung darin erblicke, dass die FPÖ dann in Opposition gehen wird.

Ich glaube Sebastian Kurz, dass er sich eine Koalition mit dieser Art von FPÖ derzeit nicht vorstellen kann; wobei mir bewusst ist, dass sich diese Ablehnung aufweichen könnte, wenn die Regierungsverhandlungen länger dauern. So falsch liegen die anderen Parteien nicht, wenn sie vermuten, dass die Versuchung für Türkis sehr groß sein wird, sich wieder in ein Bett zu legen, das in der Folge eine Menge von Brennnesseln hat. Ich möchte allerdings anerkennen, dass es in der ersten Regierung Kurz Phasen gegeben hat, in denen vor allem Strache ein vernünftiges Verhältnis zum Regieren an den Tag gelegt hat. Die besoffenen Fantasien von Ibiza lagen eine beträchtliche Zeit vor der Regierungsbeteiligung. Das heißt dennoch nicht, dass H.-C. Strache ein Partner wäre. Das zweite Hindernis heißt Herbert Kickl, der für jede politische Partei, nicht nur für Türkis, ein problematischer Partner wäre. Er hat ungeschminkte Machtvorstellungen und eine entsprechende Brutalität in der Durchsetzung und ein Talent zu organisieren. So verbinde ich die Hoffnung, dass Kurz bei seinen Äußerungen bleibt und sich trotz Ermüdungserscheinungen nicht von seiner Haltung abbringen lässt.

Aber was kommt dann? Auch hier herrscht bei vielen Partnern die Irrationalität vor! Im geringsten Ausmaß haben diese die Neos, die durchaus gern regieren möchten, dazu auch Vorstellungen und Personen haben, aber genau dosieren müssen, was sie vernünftigerweise verlangen können und wo sie ihren Partner überfordern. Eine Überforderung wird weiters rein rechnerisch existieren: Es ist nicht anzunehmen, dass Türkis und Neos eine Mehrheit im Parlament zustande bringen.

Damit sind wir bei der Suche nach anderen Partnern. Ich gehe davon aus, dass die SPÖ nach der Wahl doch Zweiter bleibt. Meines Erachtens nach hat sich Pamela Rendi-Wagner, aber auch die meisten der führenden SP-Funktionäre, in ein Eck manövriert, nämlich in jenes der absoluten Ablehnung von Kurz und von Türkis. Mit wenigen Ausnahmen, von Hans Peter Doskozil im Burgenland bis zum etwas problematischen Tiroler Landeschef, Georg Dornauer. Es wäre notwendig, dass sich die Sozialdemokratie ihrer jahrzehntelangen Rolle einer staatstragenden Kraft besinnt und nicht den Eindruck hat, dass sie Türkis einen Gnadenakt entgegenbringt, wenn sie mit Kurz in Verhandlungen tritt. Das müssten durchaus harte Auseinandersetzungen sein, wobei sicher Kurz in einigem nachgeben müsste, aber auch die SPÖ von manchem Gepäck aus der Vergangenheit Abschied zu nehmen hätte. Die Sozialdemokraten müssen aber begreifen, dass sie gegenwärtig eine Linie haben, die nicht mehr ganz in die Zeit passt und von der Realität überholt wurde. Es ist Nachdenken darüber empfohlen, warum etwa in Wien in den sogenannten traditionellen Arbeiterbezirken mehr und mehr rote Stimmen verschwinden, denn gerade hier hat sich ein sozialer Wandel breitgemacht, der eher der FPÖ zugutegekommen ist. Eine Partnerschaft mit der SPÖ verlangt auch einen Programm- und Erscheinungswandel.

Neue Koalition in Wien

Hier werden die Wiener Sozialisten eine große Rolle spielen, vor allem wird es Aufgabe von Bürgermeister Michael Ludwig sein, ein tragfähiges Konzept zu entwickeln. Gerade in Wien werden Bemühungen signalisiert, etwa gemeinsam mit der Wirtschaftskammer, so etwas wie eine neue Koalition zu entwickeln. Nach einem unbefriedigenden Wahlergebnis wird auch die Frage auftauchen, ob Pamela Rendi-Wagner weiter eine Partnerin für eine tragfähige Regierungskoalition ist. Persönlich vermute ich, dass sie eher mit Sebastian Kurz zu Ergebnissen kommen wird als mit Teilen ihrer eigenen Partei. Das würde auch eher der alten „staatstragenden“ Rolle der SPÖ entsprechen, die letztlich zur Existenz der Zweiten Republik geführt hat.

Varianten mit Grün

Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, etwa in Grün! Aber auch hier tun sich einige Probleme auf: Die Mehrheit der Landesgruppen der Grünen, vor allem mit westlicher Verortung, wäre durchaus in der Lage, mit Türkis zu arbeiten. Die Wiener Gruppe ist traditionell eher links orientiert und hat in der Vergangenheit eine beachtliche Zerstörungskraft für mögliche Koalitionen entwickelt, die unter Kurz zugenommen hat. Es ist eine interessante Frage, ob der Bundespräsident noch einen Einfluss in seiner ehemaligen Partei hat, eine noch interessantere ist, wofür die Grünen unter Werner Koglers Vorsitz überhaupt stehen.

Der interessante Gedanke einer Dreierkoalition von Türkis/Neos/Grün (sehr viel anderes wird mathematisch nicht infrage kommen) wird dadurch behindert, dass alle erklären werden, dass es so etwas noch nie gehabt habe. Ob die Parteien die Reife dafür haben? Der Testlauf in den vergangenen Monaten lässt nicht unbedingt Optimismus zu. Auf den Bundespräsidenten kommt einmal mehr eine wichtige Rolle zu, nämlich, den Parteien Gesprächsfähigkeit, Vernunft und Talent für Kompromisse nach der Wahl einzugeben. Warum? Der Optimismus, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Österreich ohnehin nicht so kritisch sei wie etwa in Deutschland, dass der Brexit keine Auswirkungen auf Österreich habe und sonstige Beruhigungspillen sind fehl am Platz. Da hört auch die Bedeutung der „öffentlichen Meinung“ oder, heute gesagt, der Social Media auf. Persönlich erlaube ich mir allerdings die Frage, ob die spürbar vorhandene Aggressivität dieser Kinder des elektronischen Zeitalter überhaupt möglich macht, Menschen unterschiedlicher Ansichten zueinander zu führen. Die uns umgebenden Beispiele von Ungarn bis Italien lassen keine übertriebene Hoffnung zu!

Im Übrigen soll man nicht unterschätzen, was in Europa und der Welt passiert. Die ökologische Frage und die Migration, mögliche Kriegsgefahren und Hysterien und was die Gegenwart sonst noch für uns bereithält, sind nicht zu unterschätzende Faktoren, die die Nachfrage nach politischer Vernunft erhöhen. Hoffentlich existiert sie. Ich gestehe, dass ich begrenzt optimistisch bin.

Der Autor

Dr. Erhard Busek  (*1941) war von 1978 bis 1987 Vizebürgermeister von Wien. Von 1991 bis 1995 war er ÖVP-Bundesparteiobmann und Vizekanzler einer Großen Koalition. Er war von 2002 bis 2008 Sonderkoordinator des Stabilitätpakts für Südosteuropa und von 2000 bis 2012 Präsident des Europäischen Forums Alpbach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2019)

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