Mehr Aufdecker braucht das Land

Würden Medien erst berichten,nachdem Behörden ermitteln, wäre die Korruptionsverfolgung noch wirkungsloser.

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Im „Quergeschrieben“ vom 2. September nahm Gudula Walterskirchen in der „Presse“ die Berichte der „Süddeutschen Zeitung“ zur Causa Ibiza zum Anlass, Enthüllungsjournalisten als „willfährige Werkzeuge“ zu verunglimpfen. Eine differenziertere Betrachtung tut not, zumal nicht jede Enthüllung schon eine investigative Recherche darstellt. Vorwürfe gegen Aufdecker korrupter Staatspolitik wider das öffentliche Interesse sind nicht neu. Schon im Absolutismus wurden skandalträchtige Pamphlete von der Zensur des Hofes verfolgt. Und wie alteingesessene Verlautbarungsorgane gegen die liberale Presse hetzten, hat auch Karl Kraus teilnehmend beobachtet und literarisch der Nachwelt hinterlassen.

Die Tage, als es mit Alfred Worm nur den einen anerkannten Enthüllungsjournalisten beim einzigen Nachrichtenmagazin Österreichs gab, sind lang vorüber. Heute gibt es mehrere Redaktionen mit Investigativpotenzial und -kapazität – leider auch solche, die mit inkriminierenden Informationen handeln, anstatt sie zu veröffentlichen. Das sind dann keine Journalisten, sondern bestenfalls „Medienmacher“.

Für komplexe, zuweilen politisch gedeckte Wirtschaftskriminalität (Stichwort Panama-Leaks oder Cum-ex-Geschäfte) brauchen Journalisten aber die internationale Zusammenarbeit mit Rechercheplattformen. Die Informationen müssen datenforensisch aufbereitet werden, ehe sie publik gemacht werden.

Dysfunktionaler Rechtsstaat

Skandalisierung wirkt komplexer, als das von Walterskirchen nostalgisch präferierte Prozedere im Hause Österreich zu leisten imstande wäre: Würden Medien stets erst berichten, nachdem Ermittlungsbehörden einen kriminellen Sachverhalt zur Anklage gebracht hätten, wäre die gerichtliche Verfolgung politischer Korruption noch wirkungsloser. Es liegt in der Demokratie nämlich ein systemischer Zusammenhang vor, der nicht kausal zu denken ist. – Die Reihung der Säulen der Staatsgewalt hat keine Rangfolge. Wenn Parlament und Justiz der Regierung unterlägen, dann wäre die Rechtsstaatlichkeit dysfunktional. Dies zu kritisieren, gar zu sanktionieren, obliegt der organisierten Zivilgesellschaft, der (internationalen) Presse und der Staatengemeinschaft. Das sind natürliche Schranken für demokratische (Teil-)Souveränität.

Wie verfahren die institutionalisierte Rechtsstaatlichkeit hierzulande ist, zeigten das Ibiza-Video und seine Folgen. Heinz-Christian Straches politisch (und sozial) erzwungener Rücktritt von allen Ämtern war effektive Folge seiner augenscheinlichen Verfehlung. Eine Konsequenz, die der Rechtsweg nicht hätte leisten können. Um die handelnden Personen für öffentliche Ämter mit Recht sozial zu ächten, bedarf es also keiner gerichtsfesten Beweise. Wer anderes behauptet, sollte sein republikanisches Grundverständnis nicht bloß formaljuristisch, sondern auch rechtssoziologisch überdenken.

Es liegt also sowohl im Wesen der Pressefreiheit als auch im öffentlichen Interesse, dass gerade über derlei Machenschaften umfänglich berichtet wird. Auch die politische Folge für den Regierungspartner ÖVP war dem Verdacht – samt unbekannten Hintergründen und mutmaßlichen Auftraggebern der Aktion – keineswegs überschießend. Das Misstrauensvotum für Ex-Kanzler Sebastian Kurz und seine Regierungsbank war eine Mehrheitsentscheidung in der repräsentativen Demokratie, die dem Skandal folgte und rechtens wurde – ohne jahrelangen Instanzenzug.

Dass die Republik Österreich seither erstmals eine Regierung hat, die Parlament und Justiz nicht beherrschen will, ist auch den Investigativjournalisten der „Süddeutschen“ zu danken.

Mag. Dr. Bernhard Martin ist Mediensoziologe in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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