Gastkommentar

Die trostlose Schlussphase des Qualkampfs

(c) Peter Kufner
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TV-Wahlkampf. Bei den ORF-Duellen der Spitzenkandidaten geht es kaum um Informationsvermittlung, eher um „Leerlauf mit Tempo“.

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Es war ein Klangerlebnis der besonderen Art, als sich die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, Beate Meinl-Reisinger von den Neos und die ORF-Moderatorin Lou Lorenz-Dittlbacher gegenseitig ins Wort fielen und streckenweise gleichzeitig ins Mikrofon redeten. Der erregte Dreiklang der Damen erleichterte dem erstarrten Zuhörer freilich nicht das Verständnis für das Gesagte, sondern verdichtete nur den Nebel, der die Duelle der Spitzenpolitiker ganz allgemein umhüllte. Aber um Informationsvermittlung ging es dem ORF ohnehin nicht.

Die 20-Minuten-Talks waren von Vornherein zum Spektakel bestimmt. Mit dem Ziel, die Politiker als Kampfhähne vorzuführen. Die Stunden vor dem Bildschirm waren dennoch mühsam. Was man als Wähler zu ertragen hatte, waren Wiederholungen altbekannter Phrasen, ermüdende Absichtserklärungen, Wühlen in Vergangenem, Dramatisieren des Nebensächlichen. Leerlauf mit Tempo, wie es Alfred Kerr genannt hätte. Informiert wurde man vor allem darüber, wie böse die anderen Parteien sind und mit welcher man nicht tanzen möchte. Nur wenig erfahren hat man hingegen über ihre Konzepte zur Lösung jener Probleme, die in Zukunft über unser Wohl und Wehe entscheiden werden. Der Mangel an Informationsgewinn bildete einen deutlichen Gegensatz zur Melodramatik der Vorträge und zur Revolutionsrhetorik des Peter Pilz.

Sprachliche Lava

Typisch für die Duelle war im Übrigen, dass sie von fast allen Diskutanten als Wettkampf um einen Geschwindigkeitspreis missverstanden wurden. Vor den Kameras wurde vulkanartig sprachliche Lava herausgeschleudert, in der die Wähler vergeblich nach einem brauchbaren Inhalt suchten. Gleiches galt für die zeitlich vorgelagert gewesenen Sommergespräche. Die Parteichefs fühlten sich in ihnen unverkennbar in die Rolle von Prüflingen versetzt, denen es auferlegt ist, mit möglichst raschen Reflexen auf Fragen zu antworten, die ihnen von den Moderatoren mit dem Gestus sanfter Freundlichkeit gestellt wurden. Am ehesten waren es wohl Sebastian Kurz und mit einer kleinen Einschränkung Norbert Hofer, die dem Examensstress widerstanden. Das Prüflingsverhalten der meisten Duellanten markierte letztlich einen Unterschied der heutigen Akteure zu den Großen aus den Nachkriegsjahrzehnten. Politiker vom Schlage Kreiskys oder Raabs ließen sich die Themen nicht vorschreiben. Sie bestimmten, worüber sie reden wollten und worüber nicht. Punktum.

Politischer Erfolg korreliert übrigens höchst selten mit temporeicher Sprache. Kreisky war sogar ein dafür bekannter Zeitlupenredner. Raab, Adenauer, Willy Brandt und de Gaulle sprachen ebenfalls auffallend langsam. So ist es halt: Die einen denken nach, ehe sie etwas sagen, die anderen versprudeln eine Meinung, einfach um zu reden. Das Viel- und Schnellreden ist allerdings folgenschwer. Es beschränkt nicht nur die Aufnahmefähigkeit des Publi-kums, sondern führt darüber hinaus zu politischer Taubheit: Der Wähler fühlt sich genervt, schaltet innerlich ab und beurteilt die Diskutanten allenfalls nach ihrer Erscheinung.

Vielleicht ist es nicht fair, die heutigen Parteichefs an historischen Kalibern zu messen. Aber warum eigentlich nicht? Warum sollte man unseren Spitzenvertretern, egal welcher Farbe, nicht mit höchsten Erwartungen begegnen dürfen? Legitim ist in jedem Fall das Verlangen der Wähler nach echten Leitfiguren.

Am Intellekt und der Redlichkeit derer, die in ihren Parteien ganz oben stehen, gibt es wenig zu mäkeln. Was man indes vermisst, ist die Strahlkraft, das gewisse Etwas, das einer Spitzenpersönlichkeit den Nimbus des Souveränen und Außergewöhnlichen verleiht. Wer diese Strahlkraft besitzt, ist weitgehend immun gegen moralische Anfeindungen, wie sie derzeit üblich sind. „Ein Kanzler darf in den Augen der Bevölkerung Eisenbahnzüge stehlen, wenn es der Allgemeinheit nützt“, kommentierte die Allensbacher Demoskopin Elisabeth Noelle einmal das Wählerverhalten.

Zum politischen Weitblick ist anzumerken, dass in den vergangenen 3000 Jahren alle großen Entwicklungen und Umbrüche zunächst in den Köpfen von Menschen stattfanden. Vordenker und Ideenbringer waren z. B. als Staatstheoretiker des klassischen Altertums Plato, Sokrates, Aristoteles; als Aufklärer Hume, Rousseau, Kant; als Vorkämpfer der Menschenrechte Lafayette, als Sozialreformer Karl Marx, als Wegbereiter des Faschismus Hitler, als Vordenker der 68er-Bewegung Adorno, Horkheimer, Marcuse. Hinzufügen ließen sich auch Ökonomen unterschiedlicher Richtungen wie etwa Keynes oder Hayek.

Wo sind die Vordenker?

Wer und wo sind die Vordenker von heute? Hierzulande sind keine zu erspähen. Aber sind sie sonst wo zu finden? Können Systemtheorien überhaupt noch einen Beitrag zur Zukunftsgestaltung leisten, oder hat sich die lenkende Kraft bereits auf die Digitalisierung verlagert? Außer Zweifel ist, dass die Quantensprünge in der Wissenschaft, der Klimawandel sowie die demografischen Verschiebungen im Gefolge von Migration und Alterung die Politik vor völlig neue und sich laufend verändernde Situationen stellen. Die Ausgangslagen sind in ständiger Bewegung begriffen. Die Politik, so scheint es, ist angesichts der zunehmenden Beschleunigung aller Prozesse bereits mit ihrem Latein am Ende. Sie ist zu keinen problemgerechten Reflexen auf das Zeitgeschehen mehr fähig und erschöpft sich in taktischem Geplänkel. Der öffentliche Diskurs geht längst schon an den Kernfragen der Zeit vorbei. Kennzeichnend für das Geschehen ist ein knatterndes Schnellfeuer mit gedanklichen Platzpatronen auf Zweitrangiges. Gekämpft wird nicht mit sachlichen Argumenten, sondern mit dem Gift der unter-stellten Unredlichkeit.

Es ist anzunehmen, dass sich daran in der Schlussphase des zum Qualkampf abgesunkenen politischen Wettstreits nichts ändern wird. Dem Diskussionstabu unterworfen bleiben werden weiterhin die Fehlentwicklungen in der EU und die Zertrümmerung historisch gewachsener Lebensweisen. Nicht viel hören wird man im linksliberalen Chorgesang über die Folgen der Säkularisierung und das Verdunsten des christlichen Glaubens samt gleichzeitiger Umgewichtung in die Richtung eines in sich konsistenten Islams mit anderen Zielvorstellungen als den unseren. Auch das ungestillte Verlangen nach öffentlicher Sicherheit wird vom Bannfluch der Political Correctness betroffen bleiben. Erregt und rasend schnell reden wird man hingegen weiterhin über Dinge wie Schreddern, Parteispenden, irgendwelche verbalen Fehltritte, Verdächtigungen, Ibiza, Ibiza, Ibiza und natürlich über das von den Auguren zur Königsfrage gekürte „Wer mit wem?“.

Dieser Wahlkampf ist eigentlich ein Ersatzkrieg. Ein Ausdruck völliger Ratlosigkeit für die Lösung des Bedeutsamen. Trostlos.

DER AUTOR

Andreas Kirschhofer-Bozenhardt war Journalist in Linz, ehe er 1964 in die empirische Sozialforschung wechselte. Er war Mitarbeiter am Institut für Demoskopie Allensbach und zählte dort zum Führungskreis um Professorin Elisabeth Noelle-Neumann. Ab 1972 Aufbau des Instituts für Markt- und Sozialanalysen (Imas) in Linz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2019)

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