Erderwärmung: Die EU und ihr 2-Grad-Ziel

Wieso ein Paradigmenwechsel in der Klimapolitik angebracht ist.

Neun Monate nach dem enttäuschenden Gipfel von Kopenhagen ist die Stimmung in der internationalen Klimapolitik schlechter denn je. Nachdem nun auch die Verabschiedung eines Klimagesetzes in den USA geplatzt ist, besteht nur noch eine geringe Chance, dass in den nächsten Jahren ein ehrgeiziger Weltklimavertrag zustande kommt. Da mutet es beinahe grotesk an, dass bei den Vorbereitungskonferenzen zum nächsten Weltklimagipfel in Mexiko darüber gestritten wird, ob das zentrale Ziel der internationalen Klimapolitik, den Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, nicht auf 1,5 Grad verschärft werden sollte.

International durchgesetzt hat das Zwei-Grad-Ziel vor allem die EU. Die Europäer plädieren schon seit 1996 für diese Zwei-Grad-Marke, haben sie 2007 sogar in den Mittelpunkt der ersten EU-Energiestrategie gerückt. In den Monaten vor dem Kopenhagener Klimagipfel ist es ihnen endlich gelungen, auch alle wichtigen Verhandlungspartner auf diese Zielformel einzuschwören – selbst die USA und China. In Kopenhagen fand das Zwei-Grad-Ziel dann zwar erstmals Anerkennung auf UN-Ebene. Aber wie so oft wurden keine Maßnahmen beschlossen, mit denen es auch erreicht werden könnte.

Da schon die bisherigen Emissionen einen Temperaturanstieg von etwa 1,4 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter verursachen, handelt es sich beim Zwei-Grad-Ziel um ein sehr ehrgeiziges Vorhaben. Ohne einen baldigen Durchbruch in den internationalen Klimaverhandlungen wird sich die magische Grenze von zwei Grad nicht mehr einhalten lassen. Das ist nicht nur ein Problem fürs Weltklima, sondern auch für die EU. Denn die Europäer tun sich aus Gründen der Imagepflege sehr schwer damit, ihre hohen Ambitionen an die misslichen Realitäten anzupassen. Es wird aber nicht nur die internationale Verhandlungsmacht der EU stark beeinträchtigen, wenn sie starr an einem unrealistischen Ziel festhält. Auch innerhalb Europas dürfte es immer schwerer werden, eine ehrgeizige Klimapolitik durchzusetzen, wenn diese sich an einem globalen Temperaturziel orientiert, an das aber kaum noch jemand glaubt.

Das klassische politische Reaktionsmuster auf offenkundig nicht mehr erreichbare Ziele ist verblüffend einfach. Kann ein Thema nicht ohnehin komplett von der politischen Agenda genommen werden, kommt es schlicht zu einer Re-Formulierung des ursprünglichen Ziels. Im Falle des Zwei-Grad-Ziels würde sich die europäische Klimapolitik jedoch dem Verdacht der Beliebigkeit aussetzen, wenn sie für eine Erhöhung der Leitplanke auf 2,5 oder drei Grad plädieren würde.

Emissionsbudget?

Politisch weitaus leichter zu kommunizieren wäre ein schwächeres Ziel hingegen, wenn man gleichzeitig auch die Zielkategorie wechselt, etwa mit einem Grenzwert für die maximale Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Das neue Globalziel läge dann nicht bei 2,5 Grad, sondern bei 500 ppm CO2-Äquivalenten. Doch statt solch naheliegende Auswege zu beschreiten, sollte die EU-Klimapolitik besser den Mut aufbringen, einen Paradigmenwechsel voranzutreiben – weg von absoluten Grenzwerten im Klimasystem, hin zu flexiblen klimapolitischen Zielpfaden.

Die Definition von globalen klimatologischen Schwellenwerten ist in einer wissenschaftlichen Perspektive sicherlich sinnvoll. Auf dieser Basis ein weltweites Emissionsbudget bis 2050 festzulegen und dieses gerecht auf einzelne Länder zu verteilen, wäre durchaus rational. Politisch aber ist solch ein Ansatz illusorisch. Auf internationaler Ebene fehlen derzeit die Institutionen und Instrumente, um ein solches Regime zu implementieren. Eine strategiegeleitete Klimapolitik kann sich nicht darauf beschränken, als verlängerter Arm der Klimaforschung fungieren zu wollen. Sie muss bei der Setzung von Zielen auch die Rahmenbedingungen internationaler Politik mitreflektieren, zudem die innenpolitischen Verhältnisse und wirtschaftlichen Interessen der wichtigsten Akteure.

Die EU könnte ihrer Verantwortung für das Weltklima durchaus gerecht werden, wenn sie sich am Ziel einer „schnellstmöglichen und kontinuierlichen Dekarbonisierung“ orientiert. Sie müsste es sich zur Aufgabe machen, anderen Industrie- und Schwellenländern zu beweisen, dass die Transformation zu einer „low carbon economy“ technologisch möglich und ökonomisch erfolgreich ist, mit positiven Effekten nicht nur fürs Klima, sondern auch für Energiepreise und Versorgungssicherheit. Gelingt dies, werden große Verschmutzerländer wie die USA und China schon aus Eigeninteresse folgen, auch ohne umfassenden Weltklimavertrag.

Zwar wäre zu erwarten, dass ein solcher Ansatz mittel- bis langfristig zu deutlichen Emissionsminderungen führt. Eine treffsichere Vorhersage darüber, welchen konkreten Temperaturanstieg die Welt damit in Kauf nehmen würde, wäre jedoch nicht möglich. Allerdings ist zu bezweifeln, dass es sich bei der derzeit favorisierten Herangehensweise tatsächlich anders verhält. Wirksames Handeln ohne fest definierten Grenzwert ist allemal besser als das Festhalten an einer strikten Temperatur-Obergrenze, deren Erreichen politisch aber nicht durchgesetzt werden kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2010)

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