„Es klang wunderbar. Ganz judenrein!“

Die Wiener Philharmoniker haben den Stellenwert des Umgangs mit der eigenen Vergangenheit noch immer nicht kapiert.

Gastkommentar

Zwei Jahre nach Ende der NS-Diktatur begrüßte der von den Nazis vertriebene ehemalige Philharmoniker Friedrich Buxbaum „sein“ Orchester bei einem Gastkonzert in London mit bitteren Worten: „Ich habe euch stimmen gehört. Es klang wunderbar. Ganz judenrein.“ Daraufhin habe es „Totenstille“ gegeben.

Diese Totenstille hält bis heute an. Wer auf der Homepage des Wiener Orchesters die Namen der in den Konzentrationslagern ermordeten ehemaligen Mitglieder eingibt, erhält zur Antwort „Zu Ihrem Suchbegriff wurden leider keine Dokumente gefunden“.

Ansätze zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte sind sehr zart. Die mittlerweile überholte und problematische Arbeit von Clemens Hellsberg gilt als Standardwerk, wissenschaftliche Studien folgten – etwa die verdienstvollen Diplomarbeiten von Bernadette Mayrhofer und Susanne Auzinger.

Deshalb wissen wir, dass schon vor 1938 ein unausgesprochener „Ariererlass“ galt. Von 1920 bis 1938 verhinderte eine „jüdische Abstammung“ die Aufnahme. Nach dem „Anschluss“ im März 1938 gab es dann kein Halten mehr. Schon in den ersten Tagen wurden in vorauseilendem Gehorsam aus „rassischen“ und politischen Gründen zwölf Mitglieder des Orchesters entlassen.

„Vor dem Führer“ spielen

Der neu ernannte Vorstand unter Wilhelm Jerger drängte darauf, „vor dem Führer“ zu spielen. Immerhin war Jerger schon 1932 der NSDAP beigetreten, wurde SS-Untersturmführer und Ratsherr der Stadt Wien. Jerger war nicht allein: 25 Philharmoniker galten schon in der „illegalen Zeit“ oder gar vor 1933 als „Parteigenossen“, 14 weitere Mitglieder des Orchesters traten der Partei nach dem „Anschluss“ bei. Schließlich waren 45 von 117 Mitgliedern des Orchesters in der NSDAP, deutlich mehr als bei den Berliner Philharmonikern (acht von 110).

Jerger nutzte seine Beziehungen nur im Fall des ins Konzentrationslager Dachau verschleppten Primgeigers Josef Geringer. Er wurde gerettet. Bei sechs weiteren jüdischen Mitgliedern des Orchesters – sie waren nicht wie Geringer persönlich mit Jerger befreundet – erfolgte keine Intervention.

Akten noch immer gesperrt

Sie wurden in den Konzentrationslagern des NS-Staates ermordet: Armin Tyroler (Oboe), der Violinist Moritz Glattauer (in Theresienstadt), der Violinist Viktor Robitsek (im Zusammenhang mit der Aktion „Litzmannsstadt“ deportiert), der Violinist Max Starkmann (nach Minsk verschleppt und ermordet). Konzertmeister Julius Stwertka scheint zwar auf der Homepage der Philharmoniker auf, aber nicht als NS-Opfer in Theresienstadt. Eine Antwort fehlt auf der Homepage zum Violinisten Anton Weiss, der an den Folgen seiner Delogierung starb.

Nach 1945 interessierte man sich nicht dafür. Mit Clemens Krauss schwang bald auch jener Mann wieder den Dirigentenstab, der 1939 das Neujahrskonzert (damals noch an Silvester gespielt) begründet hatte. Krauss stand auf der von Goebbels und Hitler erstellten „Gottbegnadeten Liste“ der wichtigsten Künstler.

Seine Rolle in der NS-Zeit – und die anderer „Gottbegnadeter“ wie Karl Böhm oder Herbert von Karajan – wurde gar nicht erst untersucht, obwohl man im Ausland die Philharmoniker noch vielfach als „Nazi-Orchester“ bezeichnete. Der Kalte Krieg ließ das in den Hintergrund treten.

Die Berliner Philharmoniker haben ebenso wie unsere Staatsoper für eine saubere Aufarbeitung der eigenen Geschichte gesorgt. Das Archiv des „Staatsorchesters“ ist hingegen noch immer nicht öffentlich zugänglich. Die Akten gehören ins Staatsarchiv!

Leider gilt im Vorfeld des Neujahrskonzerts 2011: Österreichs philharmonischer Herrenklub hat den Stellenwert des Umgangs mit der eigenen Vergangenheit noch immer nicht kapiert!

Dr. Harald Walser (*18. April 1953) ist Germanist und Historiker, Direktor des Gymnasiums Feldkirch und Bildungssprecher der Grünen.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2010)

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