Vergesst endlich den „Austrofaschismus“

Der Streit um die Jahre 1933 bis 1938 ist nicht zuletzt einer um ihre Benennung. Eine Historisierung dieser Epoche wäre überfällig.

Gastkommentar

Vergangenheit, die nicht vergehen will: Das berühmte Diktum Ernst Noltes, das den „Historikerstreit“ von 1986/87 auslöste, war auf den Nationalsozialismus gemünzt. Ähnlich wie in Deutschland stritten zu dieser Zeit auch bei uns die Historiker. Im Gefolge der Waldheim-Affäre kam es zu einer ebenso schmerzhaften wie heilsamen Diskussion über die NS-Ära. Heute ist der Nationalsozialismus nach wie vor im Gespräch. Aber irgendwie ist er doch Geschichte geworden.

Seltsam, dass bei uns immer noch so heiß über die Epoche gestritten wird, bevor Hitler kam. Und damit sind wir auch schon mitten drinnen in der Malaise: Wie sollen, wie wollen wir die paar Jahre zwischen Dollfuß und Anschluss überhaupt benennen? Faschismus? Autoritarismus? Regierungsdiktatur?

Genau hier verlaufen die allertiefsten Gräben. Denn in den meisten Sachfragen kann man sich durchaus näherkommen. Oder zumindest sachlich und fruchtbringend darüber diskutieren. Die gerade laufende Tagung „Österreich 1933–1938“ des Instituts für Zeitgeschichte und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien zeigt das deutlich.

Unangenehme Begrifflichkeit

Die Veranstalter hoffen, damit endlich Bewegung in die Frage der Rehabilitierung der Justizopfer von Dollfuß und Schuschnigg zu bringen. Auch das ist eine wünschenswerte, wenngleich problematische Sache. Und leider immer noch ein Politikum. Ein großkoalitionäres, naturgemäß.

Der Faschismus-Begriff hat – ähnlich wie „Totalitarismus“ – eine dreifache Dimension. Zum Ersten ist es eine legitime und nützliche wissenschaftliche Bezeichnung, um einen gewissen Typus von rechtsgerichteten Regimen des 20.Jahrhunderts auf einer vergleichenden Basis zu betrachten.

Zum Zweiten handelt es sich um eine Eigenbezeichnung. Die Heimwehrbewegung nahm das Wort „Austrofaschismus“ in den 1930er-Jahren oft und gerne in den Mund. Den Christlichsozialen hingegen, die in diesem Regime stets die dominierende Stellung innehatten, war eine solche Begrifflichkeit schon damals unangenehm; sie entsprach nicht ihren Intentionen. So nannten sie das neue Staatswesen denn auch „Ständestaat“.

Eigenbezeichnung „Ständestaat“

Unübersehbar ist die dritte, bis heute dominierende Dimension des „Austrofaschismus“: nämlich als (linker) Kampfbegriff gegen antidemokratische, rechtsextreme, faschistische, aber nicht nazistische Strömungen in der Ersten Republik. Und nicht zuletzt dieses Kampfbegriffs wegen erweckt die Diskussion um das Dollfuß-Schuschnigg-Regime nach wie vor Emotionen, die nach mehr als 75Jahren unangemessen und schädlich sind.

Daher: Wieso sich nicht an die Eigenbezeichnung halten und wertungsfrei von „Ständestaat“ sprechen? Was das Hitler-Regime betrifft, hat sich schließlich auch die Eigenbezeichnung „Nationalsozialismus“ durchgesetzt, ohne dass man deshalb die Ideologie und Deutungsmuster dieses Regimes übernehmen muss.

Vom „deutschen Faschismus“ spricht heute kaum noch jemand, das klingt geradezu nach DDR-Jargon. Allgemein ist – egal, welche Positionen man in Detailfragen einnimmt – einfach von „Nationalsozialismus“ die Rede.

Ein derartiger linguistischer Pragmatismus dem Dollfuß-Schuschnigg-Regime gegenüber könnte maßgeblich zur Historisierung der Epoche und zur Versachlichung der Debatte beitragen. Folglich: „Ständestaat“, nicht „Austrofaschismus“.

Dr. Kurt Bauer, Historiker, ist Mitarbeiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Historische Sozialwissenschaft. Zuletzt erschienen: Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall (UTB, 2008).


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2011)

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