Vom arabischen Frühling in den iranischen Herbst

Das beste Rezept gegen den Einfluss von Islamisten auf die ägyptische Revolte wäre ein Sturz des iranischen Regimes.

Wer sich über die tunesische Revolution kein bisschen freuen kann und nicht zumindest jenen Revoltierenden in Ägypten Sympathie entgegenbringt, die Besseres zu tun haben, als kollektiv Allah zu preisen, klammert sich an eine „politische Stabilität“, die dem Staat Israel in der Vergangenheit zwar eine fragile Sicherheitsarchitektur in der Region ermöglicht hat, aber kaum noch Perspektiven für eine langfristige Minimierung der Gewalt bietet.

Mubarak als „Judenknecht“

Wer sich jedoch von seiner Begeisterung dazu verleiten lässt, den arabischen Aufbruch blindlings abzufeiern, verschließt die Augen davor, dass Volksaufstände schon viel zu oft das Schlechte durch etwas Schlimmeres ersetzt haben. Die keineswegs dominierenden, aber immer wieder auftauchenden Bilder, auf denen die Demonstranten Mubarak mit aufgemalten Davidsternen als Judenknecht brandmarken, rufen in Erinnerung, worin dieser Aufstand enden könnte.

Es ist kein Zufall, dass iranische Oppositionelle, von den Rätekommunisten bis zu den Liberalen, ihre Grußadressen an die tunesischen und insbesondere die ägyptischen Revolutionäre stets mit eindringlichen Warnungen spicken, nicht die Fehler aus der iranischen Revolution von 1979 zu wiederholen und die Islamisten zu unterschätzen. Ihre Sorgen werden durch die offen zur Schau gestellte Begeisterung des Regimes in Teheran über die Kairoer Demonstrationen gespeist. Die ist nicht verwunderlich, sehen die Ajatollahs die prowestliche ägyptische Diktatur doch seit dem Friedensschluss mit Israel als einen ihrer Erzfeinde an.

Die Ziele der ägyptischen Moslembrüder, deren ideologische Vordenker Schriften mit so eindeutigen Titeln wie „Unser Kampf mit den Juden“ verfasst haben, sind trotz des sunnitisch-schiitischen Gegensatzes jenen des iranischen Regimes durchaus ähnlich. In der wichtigsten Oppositionsgruppe existieren zweifellos unterschiedliche Flügel, von denen sich einer eher an der türkischen AKP orientiert. Schaut man sich deren immer hemmungslosere antiisraelische Politik und die Annäherung an das Regime in Teheran an, ist allerdings fraglich, warum das von zahlreichen Nahostexperten als Anlass zur Entwarnung gesehen wird.

80 Prozent für Steinigungen

Israel hat gute Gründe, nicht nur den Machtzuwachs der Islamisten zu fürchten. Der im Westen als moderat gepriesene Mohamed ElBaradei kooperiert offen mit den Moslembrüdern und hat dem iranischen Regime in seiner Zeit als IAEO-Direktor viel Freude bereitet. Das ägyptische Oppositionsbündnis Kifaya, in dem sich Linke, Islamisten und Nationalliberale zusammengeschlossen haben, hat Mubarak in den vergangenen Jahren immer wieder scharf für seine Kooperation mit Israel attackiert und eine Petition zur Aufkündigung des Friedensvertrags von Camp David gestartet.

Leider fällt es den Optimisten unter den Beobachtern schwer, stichhaltige Gründe anzugeben, warum sich ausgerechnet die viel beschworenen „jungen Liberalen aus der Bloggerszene“ oder eine „neue Arbeiterbewegung“ auf Dauer in Ägypten durchsetzen sollten. Immerhin reden wir von einem Land, in dem sich noch 2010 ganz im Gegensatz zu Tunesien über 80 Prozent für die Steinigung von Ehebrecherinnen und die Ermordung von Apostaten ausgesprochen haben.

Moslembrüder schöngeredet

Die zentrale Frage lautet, ob jener für den Nahen Osten so typische Mechanismus durchbrochen werden kann, bei dem die innergesellschaftlichen und durch den Weltmarkt evozierten Widersprüche, die allein durch einen Sturz des Regimes nicht verschwinden würden, stets in hemmungslose Aggression gegen den jüdischen Staat transformiert werden. Diese Verschiebungsleistung erfolgt keineswegs automatisch, und es gibt in Tunesien zahlreiche und in Ägypten zumindest einige Anzeichen, dass die Sache ausnahmsweise einmal erfreulich ausgehen könnte.

Aber es wäre fatal, den Kopf in den Sand zu stecken und darauf zu vertrauen, dass schon alles gut gehen wird. Man sollte lieber das Schlimmste annehmen – in der Hoffnung, widerlegt zu werden. Aber nicht durch Nahostexperten, welche die Moslembruderschaft und andere ägyptische Oppositionsgruppen einfach schönreden, sondern durch die hoffentlich ausreichend vorhandene Vernunft und den Freiheitswillen der Demonstrierenden in Ägypten. Nur wenn sie sich gegen die mächtigen Feinde der Freiheit unterschiedlichster Couleur am Nil durchsetzen, würde dem iranischen Regime die Freude über die ägyptische Revolte vergehen. Eine Regierungsbeteiligung der Moslembrüder hingegen, die mittlerweile selbst von den USA erwogen wird, entspricht ganz dem Kalkül der Machthaber in Teheran.

Im besten Fall müssten die Demonstrationen in Nordafrika zur Inspiration für einen erneuten Anlauf zum Sturz der verhassten Diktatur aus Ajatollahs und Pasdaran im Iran werden. Der wäre eine gute, wenn auch sicher keine hinreichende Versicherung dagegen, dass der arabische Frühling in Ägypten und den anderen Staaten, in denen sich der Widerstand gegen die diversen Potentaten formiert, nicht zu einer Intifada gegen Israel verkommt, die den Massen weder Freiheit noch Brot zu bieten hätte – was aber bekanntlich überhaupt kein Grund ist, sie nicht vom Zaun zu brechen.

EU fährt weichen Iran-Kurs

Um den Sturz des iranischen Regimes zu befördern, wäre es notwendig, ihm durch konsequente Sanktionen die Fortsetzung seiner Projekte zu verunmöglichen, von denen die Finanzierung des globalen Djihadismus kein unbedeutendes ist. In Österreich und der EU geht es aber in die entgegengesetzte Richtung: Gerade wird eine Aufhebung der Reisebeschränkungen für Außenminister Salehi erwogen, und die Österreichische Wirtschaftskammer hat für den 15.Februar in Wien das nächste Werbeseminar für den Handel mit dem Iran angekündigt. Derweil feiert sich das Regime, das allein im Jänner 65 Menschen hinrichten ließ, am heutigen Jahrestag der „Islamischen Revolution“ selbst. Nicht nur in Teheran, sondern auch in Wien. Es wäre interessant zu wissen, welche Politiker, Diplomaten und Wirtschaftsvertreter sich am heutigen Abend für die Propagandainszenierung des Regimes beim Empfang in der Residenz des iranischen Botschafters hergeben.

Österreichische Unternehmen wie die VADO-Group oder die Leobersdorfer Maschinenfabrik sind weiterhin gut im Iran-Geschäft. Immer mehr Firmen wickeln ihren mittlerweile deutlich erschwerten Zahlungsverkehr mit dem Iran über die im Besitz des Regimes befindliche Europäisch-Iranische Handelsbank (EIH) in Hamburg ab, wofür auch auf Seminaren der Wirtschaftskammer in Wien Werbung gemacht wird.

Mittlerweile hat die EIH internationale Bedeutung erlangt. Deutschland, das sich bisher beharrlich weigert, gegen die Bank vorzugehen, wird dadurch zur globalen Drehscheibe für die Finanzierung eben jenes Handels, mit dem das iranische Regime nicht nur sein Nuklearwaffenprogramm, sondern auch die Unterstützung der islamistischen Organisationen finanziert, die jede Hoffnung auf Emanzipation in den arabischen Ländern zunichtemachen könnten.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2011)

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