Gastkommentar. Es ist zu befürchten, dass die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften den Neoliberalen erneut auf den Leim gehen.
Die Konjunktur zieht leicht an, und schon stehen Zinserhöhungen im Raum. Wiewohl die Europäische Zentralbank in ihrer Sitzung Anfang März die Leitzinsen auf dem Niveau von einem Prozent beließ, signalisierte sie erhöhte Wachsamkeit (O-Ton EZB-Chef Trichet: „strong vigilance“) gegenüber der steigenden Inflation. ExpertInnen erwarten Leitzinserhöhungen im April.
Hintergrund der neuen Einschätzung ist eine komplexe Mixtur aus Spekulation, Missernten (in Russland und Australien), einer an Fahrt gewinnenden Weltkonjunktur – getrieben von den asiatischen Schwellenländern – und politischen Unruhen im Nahen Osten.
Kein Anlass für Inflationsängste
Die Frage ist: Sind Zinserhöhungen jetzt die richtige Antwort zum richtigen Zeitpunkt? Oder ist der plötzliche Inflationsalarm nur ein Bluff – angetrieben von wirtschaftlichen Interessen. Viele Indizien sprechen für Letzteres.
In der Geldpolitik wird nicht umsonst von Energie- und Lebensmittelpreisen abstrahiert. Energie und unverarbeitete Lebensmittel sind volatiler als die restlichen Konsumgüter. Würde sich die EZB nicht an der Kerninflation orientieren, würde das zu erratischen Zinsänderungen führen, die den Unternehmen und Banken jede Planungssicherheit nähmen.
Auch wenn die jährliche Wachstumsrate der Verbraucherpreise im Jänner 2011 mit 2,4Prozent das EZB-Ziel übersteigt, so liegt sie doch für mehr als 80Prozent des Warenkorbes stabil darunter. Erst wenn sich die steigenden Öl- und Lebensmittelpreise in dauerhaft höhere Inflationserwartungen der LohnsetzerInnen – in Österreich sind das die SozialpartnerInnen – übertragen, muss die EZB reagieren.
Solange wir in Europa aber hohe Arbeitslosigkeit und eine Auslastung der wirtschaftlichen Kapazitäten weit unter Trend vorfinden, besteht kein Anlass für Inflationsängste. Aus ökonomischer Sicht spricht wenig für Zinserhöhungen, vielmehr entsteht der Eindruck, Interessen seien im Spiel. Nicht nur belastet die Inflation das Finanzkapital durch niedrigere Realzinsen und schmelzendeGeldvermögen, auch die ArbeitnehmerInnen sind betroffen.
Eine unheilige Allianz
Höhere Preise bedeuten ceteris paribus niedrigere Reallöhne – insbesondere, wenn es um Lebensmittel und Energie geht, die in den Warenkörben der unteren Einkommen überproportional hoch gewichtet sind.
Und so ist zu befürchten, dass Sozialdemokratie und Gewerkschaften gegen jede makroökonomische Logik – wie schon 2008 – in die aufkommende Inflationsdebatte einsteigen und den Neoliberalen auf den Leim gehen.
Eine unheilige Allianz zwischen dem Wirtschaftsforscher Bernhard Felderer, Bundeskanzler Werner Faymann und der „Kronen Zeitung“ à la „Mehrwertsteuersenkung auf Treibstoffe“ ist im „Worst Case“ denkbar. Doch davon ist abzuraten. Nicht die Inflation ist das Problem, sondern die Arbeitslosigkeit.
Steuerliche Maßnahmen
Kontrolliert steigende Verbraucherpreise sind der Bekämpfung derselben mittels Wachstum nicht abträglich, Leitzinserhöhungen hingegen schon. EZB wie SPÖ sollten sich daher hüten, der Inflation in der kurzen Frist zu viel Aufmerksamkeit zu schenken.
Stattdessen müssten sie es dem IMF gleichtun und sich für ein höheres Inflationsziel aussprechen. Der inflationsbedingte Reallohnverlust sollte mittels steuerlicher Maßnahmen durch die öffentliche Hand ausgeglichen werden.
Dominik Bernhofer ist Wirtschaftswissenschaftler in Wien und aktiv in der Sektion8 der SPÖ Alsergrund.
E-Mails an: debatte@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2011)