Plädoyer für eine selektive Nutzung der Energieträger

Gastkommentar. Die Atomkatastrophe von Fukushima und der Umbruch in Nahost markieren einen Wendepunkt der energiepolitischen Großwetterlage.

Die energiewirtschaftliche Situation nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich grob in drei Phasen einteilen. Die erste Phase bis zur Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre war durch ein stürmisches Wachstum des Energieverbrauchs gekennzeichnet – dieser verdoppelte sich von 400Petajoule auf rund 800Petajoule. Die heimische Energiewirtschaft war überwiegend in öffentlicher Hand, der Fokus lag auf der Entwicklung einer soliden Infrastruktur.

Mit der ersten Ölkrise verlangsamte sich die Nachfrage. Der mäßige Anstieg des Bedarfs bei gleichzeitig hohem Angebot führte zu einer Phase niedriger Energiepreise in den 1980- und 1990er-Jahren. Der Rohölpreis lag 1999 bei etwas über zehn Dollar pro Fass Rohöl.

Mit der Jahrtausendwende begann die dritte Phase – Angebot und Nachfrage gerieten aus dem Gleichgewicht. Der Ölpreis begann zu steigen und erreichte 2008 mit 150Dollar pro Fass einen vorläufigen Höhepunkt.

Seit 2005 kann die globale Ölproduktion nicht mehr weitergesteigert werden, während die Nachfrage aufgrund der dynamischen Wirtschaftsentwicklung in Asien ständig steigt. Energiepolitisch war diese Phase gekennzeichnet durch die Privatisierung der Energiewirtschaft und die Hoffnung, verstärkter Wettbewerb könnte die beginnende Stagnation am Energiesektor überwinden.

Übergang zum Energiemangel

Eine Hoffnung, die sich als trügerisch erwies. Nach anfänglichen Preissenkungen und massiven Konzentrationsprozessen in der Energiewirtschaft stiegen die Preise weiter. Das Jahr 2011 stellt den nächsten großen Energiewendepunkt dar – den Übergang von der Vollversorgung zu einer Phase des Energiemangels.

Die politische Destabilisierung des Nahen Ostens und der Rückgang der Ölförderung in zahlreichen Förderregionen, die nicht der Opec angehören, läuten die Phase der dauerhaften Verknappung des wichtigsten fossilen Energieträgers Erdöl ein, während die Katastrophe von Fukushima langfristig das Aus für die Atomenergie bedeutet. Eine spürbare Verknappung des Angebots an elektrischem Strom ist die Folge.

Wie wird sich die Energiepolitik verhalten (müssen)? Die Europäische Kommission hat es in ihrem Motto für die Strategie „Energie 2020“ deutlich gemacht: „Ein Scheitern können wir uns nicht leisten.“ In Österreich ist man noch nicht so weit.

Echte Themenverfehlung

Hierzulande belässt man es bei der Beschäftigung von Arbeitskreisen: Zur Erarbeitung einer Energiestrategie lud die Regierung über hundert Energieexperten ein, in Arbeitsgruppen Vorschläge auszuarbeiten. Das Ergebnis: ein Bericht mit engagierter Rhetorik, aber ohne Maßnahmenplan, ohne Zuständigkeiten, ohne Budget, ohne Evaluierungsprogramm und infolgedessen auch ohne Konsequenzen.

Eine echte Themenverfehlung, bräuchten wir doch längst einen Paradigmenwechsel hin zur wirksamen Umsetzung von Effizienzmaßnahmen, zu einer glaubwürdigen Forcierung erneuerbarer Energie und zum „Prinzip der selektiven Nutzung von Energieträgern“.

In den Jahrzehnten des Überflusses versuchten die Energieunternehmen mit ihren jeweiligen Produkten in möglichst allen Energiemärkten Fuß zu fassen, um das im Überfluss vorhandene Produkt zu vermarkten. Keine Rolle spielte dabei aufgrund des Überangebots und der niedrigen Preise die Tatsache, dass Energieträger nicht in allen Märkten gleich effizient eingesetzt werden.

Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass die Umwandlung von Energieträgern in der Regel mit hohen Verlusten verbunden ist. Wandelt man Kohle, Gas oder Öl in elektrischen Strom um, geht bei diesem Umwandlungsprozess mehr als die Hälfte der Energie als meist ungenutzte Wärme verloren. Ein anderes Beispiel: Die Umwandlung von Biomasse in flüssige Treibstoffe verursacht ebenfalls Verluste, die oft mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie betragen.

Daher sollten die Energieträger selektiv dort eingesetzt werden, wo sie anderen überlegen sind.

Elektrischer Strom sollte ausschließlich für hochwertige Energiedienstleistungen und Mobilität genutzt werden, nicht jedoch für die Erzeugung von Wärme, die auf andere Weise viel effizienter erfolgen kann. Biomasse sollte nicht in Treibstoffe umgewandelt werden, sondern wenn möglich in fester Form als Energieträger zum Einsatz kommen. Auch die Umwandlung von Biomasse in Strom sollte nur dann erfolgen, wenn gleichzeitig die Wärme genutzt werden kann.

Politik muss zielsicher eingreifen

Öl sollte nicht für die Wärmebereitstellung verwendet werden, wo es leicht ersetzt werden kann, sondern in der Mobilität, wo es zumindest bis zur breiten Markteinführung von Elektrofahrzeugen unentbehrlich ist. Erdgas sollte, da es sich besonders effizient in Strom umwandeln lässt, nicht zur ausschließlichen Erzeugung von Wärme verwendet werden, sondern wenn, dann zur kombinierten Erzeugung von Wärme und Strom.

Das Paradigma der selektiven Nutzung von Energieträgern steht der heutigen energiewirtschaftlichen Praxis diametral entgegen. Nur ein zielsicheres Eingreifen der Politik kann etwas an der ineffizienten Nutzung und den hohen Kosten ändern, die die Fehlallokation von Energieträgern verursacht.

Finanzielle Anreize für den Strukturwandel haben sich in vielen Fällen als der beste Weg erwiesen. In Zeiten knapper Budgets sind die Chancen für eine Lenkung durch Steuern höher als Subventionen. „Ein Scheitern können wir uns nicht leisten“, meint die Europäische Kommission. Diese Erkenntnis gilt auch für Österreich.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comChristian Rakos ist promovierter Physiker. Nach dem Studium zehn Jahre am Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, danach an der Österreichischen Energieagentur verantwortlich für den Bereich Erneuerbare Energie. Seit 2005 Geschäftsführer von proPellets Austria. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2011)

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