Wenn Verträge im Arabischen Frühling zu verwelken drohen

Gastkommentar: In Kairo wird laut über ein Referendum zum ägyptisch-israelischen Friedensvertrag von Camp David 1979 nachgedacht.

Wie sich nach dem Wahlsieg der Islamisten die ägyptische Regierung zusammensetzt, hängt von den Koalitionsverhandlungen ab. Rund 40 Prozent der Sitze gehen an das politische Bündnis der Muslimbrüder mit ihrer „Partei für Frieden und Gerechtigkeit“ an der Spitze, gefolgt von der Al-Nour Partei der ultrakonservativen Salafisten mit 20 Prozent.

Die bürgerliche Mitte, die vor einem Jahr die Revolution am Nil losgetreten hat, ist dezimiert. So protestieren weiter zornige Menschen, die sich um den Verrat an ihrer Revolution sorgen. Andere sehnen Normalität herbei, um endlich arbeiten und heiraten zu können.

Die Wirtschaft des Landes ist indes auf Talfahrt. Für die neue Führung sollten Beschäftigungsprogramme Vorrang haben, doch außenpolitische Ankündigungen dominieren.

Aus fast allen politischen Lagern hörte man in den vergangenen Monaten Stimmen, die Neuverhandlungen oder gar die Auflösung des Friedensvertrags mit Israel fordern. Auch der liberale Politiker Ayman Nour wünscht eine solche Revision. Große Hoffnungen waren in diesen Vertrag 1979 gesetzt worden, doch es wurde nur ein „kalter Friede“ daraus.

Ägyptische Kursänderung

Weder verwirklichte man die darin geplanten Schritte für eine Lösung des Palästinaproblems, noch kam es zum Reiseboom. Vielmehr manövrierte sich Ägypten mit dem Separatfrieden für einige Jahre aus der arabischen Gemeinschaft, erhielt aber finanzielle Unterstützung der USA. Mit Israel wurden Diplomaten ausgetauscht und eine Erdgaspipeline errichtet. Indes sind die Diplomaten einberufen und die Pipeline wird sabotiert.

Der militärische Übergangsrat in Kairo unternahm bereits im März eine Volte gegenüber Israel. So hob man die Gaza-Blockade auf und begann den Dialog mit der dort regierenden Hamas. Zu Camp David meinte Nabil al Arabi, der neue ägyptische Generalsekretär der Arabischen Liga: „Der Vertrag mit Israel ist nicht sakrosankt wie der Koran.“

Auf militärischer Ebene kam es bereits zu Änderungen. So rückten kurz nach der Revolution ägyptische Truppen in jene Zonen vor, die laut Vertrag als neutrale Puffer vorgesehen waren. Israel protestierte nicht, sondern unterstützte dies, da die ägyptischen Sicherheitskräfte so besser den Schmuggel am Sinai bekämpfen könnten.

Im September kam es aber zum fatalen Schusswechsel an der Grenze zu Israel, der mit dem Tod einiger ägyptischer Soldaten endete. Es folgten der Angriff auf die israelische Botschaft in Kairo und wütende Proteste, in denen lautstark nach einer Aufkündigung des Vertrags von Camp David gerufen wurde.

Die amerikanische Diplomatie versucht indes, die Neuordnung in Kairo mitzugestalten. Waren die alten Kanäle primär die Militärs, baute Washington rasch Kontakte zu den neuen Machtzirkeln der Islamisten auf. Die US-Vermittler wurden aber nun brüsk vor den Kopf gestoßen.

So widersprach ein Vertreter der Muslimbrüder der Sprecherin des US-Außenministeriums, die jüngst verkündet hatte, dass die ägyptischen Gesprächspartner Garantien für den Vertrag von Camp David abgegeben hätten. „Lasst das Volk über den Vertrag mit den Zionisten entscheiden“, so melden sich hochrangige Muslimbrüder radikal zu Wort.

Während also die USA sich einmal an den Grundsatz „pacta sunt servanda“ halten – Verträge müssen aufrecht bleiben –, bewegt die Muslimbrüder ein anderes Motiv. In ihrer Interpretation handelt es sich nämlich bloß um einen befristeten Waffenstillstand, der kündbar ist.

Fatwa über Waffenstillstand

Als Präsident Anwar el Sadat 1979 nach Washington reiste, um den Vertrag mit dem damaligen israelischen Premier Menachem Begin zu unterzeichnen, holte er sich zuvor ein Rechtsgutachten, eine Fatwa, der islamischen Universität al-Azhar. Sadat, der selbst Muslimbruder war, wollte sich politisch, aber auch vor seinen eigenen religiösen Überzeugungen absichern.

Die Rechtsgelehrten meinten unter Berufung auf den Vertrag von Hudaibiya, den der Prophet Mohammed einging: „Wenn es also dem Interesse der Muslime zuträglich ist, ist es dem Präsidenten erlaubt, einen Waffenstillstand (muwada'a) mit Feinden zu schließen.“

Anders als ein Friedensvertrag ist dieser Waffenstillstand befristet. Darauf verweisen nun viele Muslimbrüder, die zudem der al-Azhar vorwerfen, dass sie sich damals von der Regierung habe instrumentalisieren lassen. Von politischem Pragmatismus, den einige Politiker den Muslimbrüdern zugestehen wollen, kann hier keine Rede sein. Sie dürfen aber mit dieser Außenpolitik auf die Bevölkerung zählen. Doch wie wird Washington reagieren?

Die USA befinden sich in Rezession und Wahlkampf, in dem die Finanzhilfe für Ägypten leicht zum Thema werden könnte. Denn warum sollten US-Steuergelder in ein Land fließen, das so gar nicht auf Linie ist, wird man in den Wahldebatten wohl hören.

Ein Geldstrom aus den USA

Rund 1,5 Milliarden US-Dollar gehen jährlich als Militärhilfe nach Ägypten. Die Armee möchte kaum auf diese Subvention verzichten, die ihr Zugang zu moderner Ausrüstung und attraktivem Sold ermöglicht. Weitere hohe Beträge fließen in den Import von Grundnahrungsmitteln, die das Land bitter nötig hat.

Sollten also die Zuwendungen aus den USA stark gekürzt oder gar ganz eingestellt werden, weil dies der US-Kongress beschließt, könnte eine echte Brotrevolte oder ein Militärputsch die Folge sein. Vorstellbar ist auch, dass andere Geber einspringen. Einige Golfmonarchien finanzieren bereits intensiv die Salafisten.

Ägypten als Reiseland wäre dann für eine Weile abzuschreiben. Denn Touristen kommen vor allem wegen des Kulturguts aus vorislamischer Zeit. Mit diesem können die rigiden Islamisten nur wenig anfangen. Kuriose Vorschläge über die Verhüllung von Statuen der Pharaonen und Tempeln sind bedenklicher als Alkoholverbote in Hotels.

Ist Islam tatsächlich die Lösung?

Für die USA wäre das nahöstliche Dilemma dann nach dem Chaos im Irak perfekt. Ob ein ägyptischer Volksentscheid gegen Camp David gar zum Kriegsgrund für Israel wird, darf bezweifelt werden. Denn die Israelis haben vermehrt Sorgen mit ihren eigenen „Gotteskriegern“, die sich offen gegen den Staat und seine Gesetze stellen.

Die Vermischung von Religion und Politik offenbart sich wieder einmal für alle Beteiligten im Nahen Osten als Fluch. Die Devise der Muslimbrüder ist eine sehr simple: „Der Islam ist die Lösung.“ Ob sich mit Fatwas und Nebenschauplätzen die Probleme Ägyptens aber lösen lassen? Wohl kaum.

Zur allgemeinen Entspannung darf angemerkt werden: Der Friede von Camp David hatte von Anfang an mehr symbolischen als inhaltlichen Wert. Man sollte daher seine allfällige Auflösung und die aktuelle Debatte nicht überbewerten.

Zur Autorin


E-Mails an: debatte@diepresse.com
Karin Kneissl studierte Jus und Arabistik in Wien, war von 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst. Danach Lehrtätigkeit. Zahlreiche Publikationen, darunter: „Die Gewaltspirale. Warum Orient und Okzident
nicht miteinander können“ (2007), „Der Energiepoker“. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2012)

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