Wie man sich ein Weltbild richtig zurechtbiegt

Christian Felber preist seine „Gemeinwohl-Ökonomie“ als „Wirtschaftsmodell der Zukunft“ an. Tatsächlich erinnert sein Modell an dunkle Epochen und trägt den Keim einer neuen Kommandowirtschaft in sich.

Ende Oktober des Vorjahres hat sich Christian Felber in einem Leserbrief beschwert, von Michael Fleischhacker zwar beschimpft zu werden (Anarchomarxist, neokommunistischer Gemeinwohl-Pseudoökonom, herzjesumarxistischer Enteignungseuphoriker), sein epochales Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“ werde in der „Presse“ jedoch ignoriert. Ich beschloss, das Buch endlich zu lesen, um Felber beispringen zu können. Immerhin geht es um die Mehrung des Guten.

Als „Linker“ greift man nach jedem Strohhalm, und Felber verspricht einen Mammutbaum: „das Wirtschaftsmodell der Zukunft“. So kühn war nicht einmal Marx. Der hat nur wenige, sehr allgemeine Sätze über die zukünftige „sozialistische“ Gesellschaft geschrieben (und gab damit leider Scharlatanen von Lenin bis Mao die Möglichkeit, sich auf ihn zu berufen).

Im Funktionärs-Quacksprech

Ich begann zu lesen. Statt Erkenntnisgewinn – Ratlosigkeit! Es gibt Thesen, die sind so falsch, dass sie unwiderlegbar sind. Jede Buchseite schreit nach Widerspruch, so detailverliebt entwirft Felber die „Gemeinwohl-Ökonomie“ am Reißbrett. Alles einfach und logisch. Man muss es nur machen, wie er in Vorträgen immer betont.

Die Tatsache, dass er keine adäquate Sprache für seine Anliegen findet, weckt zusätzlich Zweifel. Im Funktionärs-Quacksprech prasseln die Thesen herab. Gleichzeitig beruft er sich auf „wissenschaftliche Erkenntnisse“, um seine Thesen zu untermauern. Erkenntnisse, die häufig nur Verweise auf andere Verweise sind. Theorien, die Felbers Annahmen zuwiderlaufen, werden ausgeblendet. Man hat das Gefühl: Hier biegt sich einer die Welt so zurecht, dass sie seinen Theorien entspricht.

Die „Linke“ tendiert fatal zu „role models“. Jedem Scheitern folgt ein neues Vorbild. Eine endlose Kette böser Irrtümer: Lenin, Stalin, Ho Chi Minh, Guevara, Castro, Mao, Chávez. Jedes dieser Modelle erwies sich als untauglich, da ineffizient und undemokratisch. Nun ist man auf den Felber gekommen und seinen kruden, simpel gestrickten, extrem bürokratiegetränkten Sozialismus, der eklektisch aus der Abverkaufs-Wühlkiste gescheiterter Ismen zusammengebastelt ist: vom frühsozialistischen Robert Owen über Titos „Selbstverwaltung“ zu einer Prise Genossenschaftswesen.

Dazu eine inflationäre Beimengung des Adjektivs „demokratisch“, was dann eher nach Pfeifen im Walde klingt. Angesichts der Fülle an demokratischen Institutionen, die Felber zur Bändigung des Kapitalismus erfindet, wird einem angst und bange.

Absurde Detailverliebtheit

Man fragt sich, wann die Leute den Wohlstand der „Gemeinwohl-Ökonomie“ produzieren sollen, wenn sie ihre demokratischen Rechte in den wie Schwammerln aus dem Boden schießenden Einrichtungen ausüben wollen: demokratische Banken, Gemeinwohlkonvent, branchenweise Kooperationsausschüsse, demokratische Bahn, Post, Stadtwerke und Kindergärten. Ein „demokratischer Bankenrat“ besteht aus Vertretern der Bankangestellten, Konsumenten, Schuldnern, regionalen KMUs, Gender-Beauftragten (!) und Zukunftsanwaltschaft.

Kurioserweise vergisst Felber bei dieser absurden Detailverliebtheit auf Vertreter der kleinen Sparer. Mit bürokratischer Versessenheit skizziert er zu schaffende Strukturen: von der kommunalen Ebene über die Länder bis hinauf zum Bund entsteht ein „Demokratischer Banken-Verbund“. Ein „Daseinsvorsorge-Konvent“ definiert jene Bereiche, die dem Gemeinwohlsektor angehören.

Alle öffentlichen Betriebe (er nennt sie „demokratische Allmenden“) funktionieren nach diesem Schema bzw. funktionieren nicht, wie man aus bisherigen Erfahrungen mit solchen Einrichtungen annehmen muss. Wen das ans fehlgeschlagene Rätesystem der Sowjetunion und Planwirtschaft erinnert, der liegt nicht ganz falsch.

Felber unterschätzt sträflich die Differenz zwischen Schreibtisch und Realität und die Tatsache, dass ein Zuviel an Gremien, die direktdemokratische Kontrolle brauchen, genau dieser Kontrolle entgleitet, weil nur eine kleine Minderheit in der Lage ist, in endlosen Gremiumssitzungen Lebenszeit zu vergeuden. Überdosierte Heilmittel machen krank.

„Erziehung zu neuen Werten“

Wer sich an die Wiener Arena-Bewegung erinnert, wird wissen, dass der demokratische Anspruch um Mitternacht über Bord ging, wenn die berufstätigen „Arenauten“ die Sitzungen zwecks Ausschlafens verlassen mussten. Die Entscheidungen wurden von der Minderheit jener getroffen, die keiner geregelten Arbeit nachgingen.

Die Felber'schen Konvente (Daseinsvorsorgekonvent, Medienkonvent, Bildungskonvent, Demokratischer Wirtschaftskonvent) klingen erschreckend nach jenem „Wohlfahrtsausschuss“, der zum Instrument jakobinischer Schreckensherrschaft wurde.

Wer Felbers wackelige Thesen zur Konkurrenz bezweifelt, bekommt taxfrei eine „unglückliche Kindheit“ attestiert. So landet er bei einem neuen Schulmodell, das sich nicht der Bildung, sondern „der Erziehung zu neuen Werten“ widmet: Gefühlskunde, Wertekunde, Kommunikationskunde, Demokratiekunde und Naturerfahrungskunde stehen auf dem Stundenplan. Alle, denen das nach Umerziehungslager klingt, haben wohl zu wenig Elternliebe erfahren.

Felber ist unwiderlegbar: Wer seine Thesen für Unsinn hält, hat falsche Werte. Er bedient sich hermetischer Argumentationen, die jeden Gegner seiner Thesen ins Unrecht setzen – ein geschlossenes Weltbild. Hinter den demokratischen Überlegungen lugt das böse Antlitz der Diktatur hervor.

Tendenz zu autoritärer Entartung

Fleischhacker hat recht: Felber schwelgt in Enteignungsfantasien und predigt einen pseudoökonomischen Pseudokommunismus. Sein Demokratiemodell trägt den Keim einer neuen Kommandowirtschaft in sich. Nur der Vorwurf „Anarchomarxist“ ist falsch: Die von Felber erdachten pedantischen Vorschriften sind das Gegenteil von Anarchie.

Bei Felber ist halt alles ganz einfach – blöderweise nur, wenn alle Menschen gleichgeschaltet wären und seine Überlegungen teilten. Dies ist angesichts der Unterschiedlichkeit der Menschen unwahrscheinlich. Trotzdem bleibt man als Kenner der Geschichte ökonomischer Modellversuche mit Gänsehaut zurück.

Felbers Gemeinwohl-Ökonomie geht von einem ebenso schlichten, rein ökonomischen Menschenbild aus, wie der von ihm zu Recht bekämpfte Neoliberalismus. Beide Systeme tendieren zu autoritären Entartungen.

„Tänzer“ steht als Felbers Beruf im Klappentext. „Traumtänzer“, möchte man korrigieren. Wie weit es von dort zur Gemeinwohldiktatur ist, will man lieber nicht in Erfahrung bringen.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comMichael Amon lebt als freier Autor in Wien und Gmunden. Seine Essaysammlung „Nach dem Wohlstand – Politik jenseits der Menschen“ ist bei Molden erschienen. Ab März ist sein neuer Roman, „Der Glanz der Welt“ (Echomedia Verlag), erhältlich, ein absolut realitätsferner und ironischer Krimi über Wirtschaftsverbrechen und die besseren Kreise des Landes. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2012)

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