Geistig Schaffende – die Gratisdeppen der Nation

Ein paar grimmige Anmerkungen zum derzeitigen Proteststurm gegen Acta. Es ist offensichtlich, dass es den Befürworten des ungestraften Copyright-Diebstahls im Internet keineswegs um die Bürgerrechte geht.

Vorweg, weil das in den Diskussionen über Acta (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) immer ignoriert wird: Dieses Übereinkommen greift nicht ins Urheberrecht ein, sondern versucht, die bestehenden Regelungen zum geistigen Eigentum auch im digitalen Zeitalter durchzusetzen, was nicht nur legitim, sondern auch notwendig ist.

Niemand bezweifelt, dass man im Supermarkt für jene Waren, die man im Wagerl hat, an der Kassa bezahlen muss. Nicht einmal Ladendiebe werden das bestreiten. Selbst mehrmals ertappte Kleinstkriminelle werden sich zwar ärgern, aber nicht über die Verletzung von Bürgerrechten jammern, wenn sie wegen eines begründeten Verdachts festgehalten werden, bis die Polizei zwecks Perlustrierung eingetroffen ist.

Noch weniger werden sie in Europas Hauptstädten für straffreien Diebstahl, gegen Kontrollrechte der Ladeninhaber demonstrieren und fordern, Billa und Co. das nächtliche Versperren ihrer Lokale mitsamt Einschalten von Alarm- und Überwachungsanlagen zu verbieten. Bezogen auf geistiges Eigentum sind das die Forderungen der meisten Acta-Gegner.

Nur geringer Schutz

Interessanterweise ist dieses geistige Eigentum in unserer Gesellschaft weniger gut geschützt als das materielle, obwohl es jenes Eigentum ist, das am unmittelbarsten die Schöpfung von Individuen ist. Kann sich jemand vorstellen, dass der Erbauer einer Fabrik nach 20Jahren automatisch sein Eigentum an ihr zugunsten der Öffentlichkeit verliert? Oder dass ein Badeplatz an einem österreichischen See 70Jahre nach dem Tod des Erwerbers öffentliches Eigentum wird?

Wer dies fordern würde, setzte sich zu Recht dem Verdacht aus, kryptokommunistische Ideen zu verfolgen. Doch genau mit solchen Rechtslagen sind die kreativ Schaffenden schon immer konfrontiert.

Argumentiert wird dieser geringere Schutz immaterieller Urheberrechte mit dem öffentlichen Interesse, dass etwa Medikamente nach einer gewissen Zeit allen Menschen billig(er) zugute kommen. Warum das auch bei Büchern oder Musik so sein muss, hat mir noch niemand schlüssig erklären können.

Ach ja, die Erben haben nichts dazu getan, dass ein Kunstwerk entstanden ist. Stimmt. Aber: Die Erben haben auch für die Fabrik oder den Badeplatz nichts getan, außer freudig das Erbe anzutreten.

Natürlich wären mehr freie Seezugänge von größtem Interesse für die Allgemeinheit. Doch niemand würde es ernsthaft wagen, Badeplätze oder Wohnungen im Interesse nachkommender Generationen nach einer Frist automatisch und entschädigungslos zu enteignen. Nur die geistig Schaffenden sind die Gratisdeppen der Nation: Bei Büchern etwa kassiert der Staat genau so viel Umsatzsteuer wie der Autor Tantiemen.

Bestohlen im Internet

Musiker und Autoren werden im Internet bestohlen, während die Tauschbörsenbesitzer, Bereitsteller der Server für den Diebstahl, sich an den von den Dieben bereitwillig bezahlten Gebühren krumm und bucklig verdienen.

Wir haben es hier mit einer merkwürdigen Geisteshaltung zu tun: Im Internet muss alles gratis sein, Digital Rights Management ist nur dazu da, geknackt zu werden. Besonders infam ist das Argument, dass neue Techniken den alten Urheberrechtsschutz obsolet gemacht hätten.

Prinzip „Ware gegen Bezahlung“

Das erinnert an den Panzerknacker, der verlangt, man möge die Tresore abschaffen, weil er dank seiner sich ständig verbessernden Einbruchstechnik ohnedies jeden aufbekäme. Die Kreativen und ihre Verwerter mögen sich daher gefälligst neue Geschäftsmodelle einfallen lassen. Warum eigentlich?

Das System „Ware gegen Bezahlung“ existiert, seit es Märkte gibt. Weil ein bestimmter Gesetzesbruch zur alltäglichen Praxis geworden ist, würde normalerweise niemand verlangen, diesbezügliche Strafverfolgungen zu beenden. Extrem formuliert: Würde an jeder Straßenecke gemordet werden, könnte man trotzdem Morde nicht straffrei stellen oder aufhören, Mörder zu suchen.

Genau so aber argumentieren die Gegner von Acta im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Urheberrecht oder bei Produktpiraterie. Es wird so getan, als ob es kompliziert wäre, die Urheberrechte im Netz zu schützen. Eine glatte Lüge. So wie jeder Buchhändler eine Konzession braucht, um seinen Laden zu eröffnen, muss eben jeder Onlineshop nachweisen, dass er vertriebsberechtigt ist und nur legale Produkte führt. Andernfalls hat der Provider auf Anweisung der zuständigen Gewerbebehörde den Shop vom Netz zu nehmen. Ist der Provider in einem Land angesiedelt, das sich nicht an diese Vereinbarungen hält, kann der Zugang über die nationalen Provider geblockt werden. Die Technologien dafür sind bekannt und ohnedies längst im Einsatz. So haben es die Behörden geschafft, das in den USA verbotene Online-Pokern dort praktisch zum Erliegen zu bringen. Auch die Angebote auf eBay werden längst polizeilich auf Hehlerware überprüft.

Das Problem der Bezahlung mit einer neuen Art der pauschalen Kopierabgabe zu lösen, entspräche der Idee, bei jedem Kauf eines Koffers oder einer Tasche einen kleinen Obulus zu zahlen und dann überall gratis „einkaufen“ zu dürfen. Offenkundig ein Unfug. Mit so einer Abgabe können eben nur Nebenrechte (wie Kopieren von Texten oder Musik für den Eigengebrauch) abgegolten werden, niemals Hauptrechte.

Verdammte Pflicht des Staates

Dass es den Befürworten des ungestraften Copyright-Diebstahls im Internet keineswegs um Bürgerrechte geht, ist offensichtlich. Wo waren die Demonstranten gegen Acta als es um die Rufdatenerfassung ging, einen weitaus schwereren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte?

Es ist die verdammte Pflicht des Staates, nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Eigentumsrechte ausreichend zu schützen. Und die Internet-Gratis-Blitzer sollen endlich aufhören, mit den Bürgerrechten in der Hand den Raub an Mitbürgern (nämlich den Kreativen) zu rechtfertigen.

In unserem Wirtschaftssystem gibt es nämlich nur ein Geschäftsmodell: hier Ware, da Bezahlung. Egal ob Old Economy, ob iStore, Google oder Facebook: Sie alle funktionieren nach diesem System. Nur dass die diebischen Internetdeppen anscheinend nicht kapiert haben, dass sie in den angeblich „sozialen“ Netzwerken längst mit der teuersten Währung bezahlen, die sie haben: mit ihren privaten Daten.

Ausnahmsweise hatte Milton Freeman einmal in seinem Leben recht, als er 1975 eines seiner Bücher betitelte (auch wenn er es wohl anders gemeint hat): „There's No Such Thing as a Free Lunch“.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor

Michael Amon lebt als freier Autor in Wien und Gmunden. Zuletzt ist sein autobiografischer Roman „Fromme Begierden“ erschienen. Anfang April erscheint sein neuer Roman „Der Glanz der Welt“ (Echomedia Buchverlag), ein sarkastisch-ironischer Krimi über die feine Wiener Gesellschaft, ihre Geschäfte und allumfassende Unschuldsvermutungen. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2012)

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