Das ewige Hin und Her zwischen Russophobie und Russophilie

Deutsche Fachzeitschriften fragen, was Russland für den Westen eigentlich ist: eine Bedrohung oder ein Partner?

Chefredakteur Christian Staas fasst die widersprüchliche Gefühlslage im Westen gegenüber Russland gut zusammen: „,Putin, hilf!‘, rufen die einen, ,Hilfe, Putin!‘, die anderen. Russland als Rettung – Russland als Gefahr: Zwischen diesen Polen bewegt sich der westliche Blick“, schreibt Staas in seinem Editorial zum neuesten Heft von „Zeit Geschichte“, das sich dem Thema „Die Russen und wir: Was uns trennt, was uns verbindet“ widmet. Auch in dieser Publikation ist es der frühere Ordinarius für Osteuropäische Geschichte der Uni Wien, Andreas Kappeler, der den großen Einleitungsaufsatz zum spannungsreichen Verhältnis zwischen Russland und dem Westen beigesteuert hat: „In Hassliebe vereint“, betitelt er seine Analyse und beschreibt die über die Jahrhunderte ständig zwischen Russophobie und Russophilie changierende Russlandwahrnehmung in Westeuropa. Genauso ambivalent die russische Haltung gegenüber dem Westen – ständig hin und her schwankend zwischen Idealisierung und Abscheu, Orientierung am Westen und Suche nach einem russischen Sonderweg.

Unter Wladimir Putin schwingt das russische Pendel gerade wieder weit in Richtung Abschottung vom Westen aus. Dabei bietet er ein Wertekonstrukt an, das nicht nur im eigenen Land, sondern auch bei den Rechtspopulisten in Europa und den Reaktionären in den USA auf euphorische Aufnahme stößt. Der einstige CDU-Spitzenpolitiker Ruprecht Polenz beschreibt dieses Angebot im Heft 3/2015 der von Renovabis herausgegebenen Zeitschrift „Ost-West“ sehr zutreffend: „Antiamerikanismus, Schwulenfeindlichkeit, familiäre Werte, Fremdenfeindlichkeit, Antiglobalisierung, Macho-Gehabe verbunden mit regelmäßigem Kirchen-Besuch.“ Mit dem Antiamerikanismus und der Antiglobalisierung spricht Putin auch gleich noch die europäische Linke stark an, weshalb Professor Kappeler zu der Schlussfolgerung kommt: „Nur Teile der extremen Rechten und Linken in Europa sind noch trotzig vom starken Mann im Kreml begeistert, der den USA und der EU den Meister zeigt.“

Auch die Zeitschrift „Ost-West“ stellt die Frage: „Ist Russland eine Bedrohung oder ein Partner?“ Die Berliner Osteuropa-Expertin Gemma Pörzgen schreibt in ihrem Porträt des russischen Präsidenten, dass eine Zusammenarbeit mit einem Politiker wie Putin extrem schwierig sei, der „ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit pflegt und sich in den letzten anderthalb Jahren häufig in Unwahrheiten verstrickt oder schlecht unterrichtet gewirkt hat“. Pörzgen zitiert die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, die über Putin gesagt haben soll, dieser lebe „in einer anderen Welt“. Pörzgen: „Diese Äußerung umreißt, wie schwierig es für andere Regierungschefs geworden ist, weiter mit Putin zusammenzuarbeiten und nach gangbaren Wegen der Kooperation mit Russland zu suchen.“

Und noch die Sache mit der deutsch-russischen Partnerschaft: Aus mittelosteuropäischer, vor allem aus polnischer Sicht ist das eine äußerst heikle Frage, zumal das Land in den letzten Jahrhunderten vier Mal unter die Räder einer mehr oder weniger heimlichen Verständigung zwischen Deutschen und Russen kam. Auch heute gibt es in beiden Ländern noch Politiker, die über die Köpfe ihrer dazwischen liegenden Nachbarn hinweg gern Großmachtpolitik betreiben wollen. Altbundeskanzler Helmut Schmidt ist so einer, wie die russische Historikern Irina Scherbakova in „Zeit Geschichte“ beklagt: „Politiker wie Helmut Schmidt sind nicht imstande, zu akzeptieren, dass die Ukraine und Georgien nun selbstständig sind. Für sie gehören diese Länder immer noch zum sowjetischen Imperium.“

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2015)

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