Warum für Putin Wahlen - nach russischer Art - so wichtig sind

Bis 2024 kann Wladimir Putin weiter im Kreml schalten und walten. Inzwischen ist er dort zum Mikromanager geworden.

Mit großer Mehrheit hat die russische Wählerschaft Wladimir Putin am Sonntag zum vierten Mal zum Präsidenten des Landes gewählt. Wobei, eine Wahl im westlichen Sinne war dieser Urnengang natürlich wieder nicht. Freilich ist Putin heute bei seinen Landsleuten so populär, dass er auch eine reguläre Wahl nach fairen Spielregeln gewinnen würde. Warum aber besteht Putin dann auf Durchführung eines Urnengangs, dessen Ergebnis von vornherein glasklar ist? Weil die vom langjährigen Kreml-Mastermind Wladyslaw Surkow konzipierte „gelenkte Demokratie“ ein solches Bestätigungsverfahren durch das Volk eben vorsieht.

Julia Joffe schreibt in ihrem langen Essay „Was Putin wirklich will“ im US-Monatsmagazin „The Atlantic“ (1/2018): „Die Lenkung der Medien durch den Kreml, das scharfe Auge auf Umfragen und die jeweiligen Zustimmungsraten (. . .) – all dies geschieht, um Putins Legitimität zu untermauern und um sich lieb Kind bei den 144 Millionen Untertanen zu machen.“ Dadurch solle auch sichergestellt werden, dass Putins autoritäre Herrschaft populär bleibe und nicht herausgefordert werden könne.

Das russische Machtsystem ist inzwischen komplett auf Putin zugeschnitten, wenn manche Beobachter auch argumentieren mögen, der Putinismus sei nicht Putin allein. Doch Putin hat, wie Joffe festhält, inzwischen alle wichtigen staatlichen Institutionen – Gerichte, Streitkräfte, Sicherheitsorgane, das Parlament, sogar die Oppositionsparteien und die Wirtschaft – auf seine Person hin ausgerichtet. Kein Wunder, dass er gegenüber Gesprächspartnern geklagt haben soll, wie sehr ihn zeitlich das „Mikromanagement“ in Anspruch nehme. „Ich würde gern abtreten, wenn ich das Gefühl hätte, genug getan zu haben, um die Institutionen unabhängig für meinen Nachfolger arbeiten zu lassen“, soll Putin gesagt haben.

Es ist das Dilemma eines autokratischen Machthabers: „Der einzige Weg, um Risken für sein Herrschaftssystem zu vermeiden, ist es, auf seinem Posten zu bleiben. Aber er kann auch keine Reformen vorantreiben, denn diese würden zu Rissen im Machtgefüge führen und letztlich sogar zum Umsturz“, erklärt Joffe ein langgedienter amerikanischer Russland-Beobachter.

Auch Stefan Meister, Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, betrachtet „die zur Schau gestellte Volksnähe und die Institutionalisierung Putin'scher Macht“ als jene zwei Elemente, auf denen die Herrschaft des wiedergewählten Langzeitpräsidenten fuße. Putin entscheide inzwischen alles, schreibt Meister im außenpolitischen Fachmagazin „Internationale Politik“ (2/2018), der innerste Führungszirkel sei sukzessive kleiner geworden, „es gibt kaum noch Korrektive“. Umso mehr verlange das System Putin absolute Loyalität und dulde immer weniger Aussagen oder Handlungen, die eine Distanzierung signalisierten.

Doch genau dieser permanente Druck von oben zur Unterwerfung führt zur inneren Erstarrung. Stefan Meister warnt: „Je länger ein Deckel über eine Gesellschaft gestülpt wird, je länger die realen Herausforderungen durch konstruierte ignoriert werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass es irgendwann zu einer Explosion kommt. Genau dann, wenn keiner damit rechnet – und die ganze Mär von der Stabilität geglaubt worden ist.“ Wäre schon kurios, dass der russische Führer, der Vermeidung und Abwehr von jeglichem Chaos zu seinem politischen Credo gemacht hat, Russland genau auf eine solche „Zeit der Wirren“ zutreiben ließe.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2018)

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