Gedankenlese

Schöne, neue Medienwelt – oder: Die Rückkehr zum Feudalismus

Die Kulturzeitschrift "Lettre" feiert ihren 30. Geburtstag - mit einem düsteren Blick auf die Zukunft des Journalismus.

Es war eine Zeit des Aufbruchs in Europa. Im wackelig gewordenen Gebälk des kommunistischen Systems im Osten des Kontinents hörte man es schon bedenklich knirschen. Im westlichen Teil war eine Mehrheit optimistisch, glaubte oder hoffte auf eine gemeinsame, erfolgreiche Zukunft der Europäer. Also das genaue Gegenteil der heutigen Stimmung, wo Missmut, Angst, Pessimismus die dominierenden Gefühle sind. In der damaligen Aufbruchstimmung wurde 1988 ein europäisches Zeitschriftenprojekt geboren: „Lettre International“ – eine europäische Kulturzeitschrift, die zeitweilig in zwölf Ausgaben in zwölf Sprachen erschien. Die meisten dieser Ausgaben gibt es nicht mehr.

Die deutsche Ausgabe von „Lettre“ aber lebt noch – und sie gibt mit einer über 180-seitigen Jubiläumsausgabe zum 30. Geburtstag auch ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Offenkundig, weil die Zielsetzung der Zeitschrift noch immer stimmt, die die Redaktionsleitung so beschreibt: „Der Wunsch nach Unabhängigkeit verbindet ,Lettre‘ und seine Leser. Unsere Haltung ist eine des Staunens, des Fragens, der Offenheit, wir schätzen den Möglichkeitssinn und suchen Ideen, Visionen, Konzepte. Uns missfallen die Konsensmaschinerie, die routinierte Heuchelei, das Messen mit zweierlei Maß, die anonymen Denunziationen, die alimentierte Vermeidungspublizistik. Freimütigkeit, Vielseitigkeit, Originalität, Unbestechlichkeit – das möchten wir auf unsere Fahne schreiben.“ Fürwahr, eine mehr als vornehme Redaktionslinie.

Hier ist nicht der Platz, um auf die umfangreichen Inhalte des Geburtstagsheftes einzugehen. Nur auf den Aufsatz über den Aufstieg und Niedergang des Journalismus des italienischen Publizisten Marco D'Eramo sei explizit hingewiesen. Sein Text ist eine kompakte Kurzgeschichte der Zeitungsbranche, deren Abstieg schon mit dem Aufkommen des Rundfunks, dann aber vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Verbreitung des Fernsehens und der Umleitung der Mittel für Werbung eingesetzt hat: „Mit der relativen Marginalisierung der Zeitung als Medium ging ein Bedeutungsverlust der Zeitungsjournalisten einher, an deren Stelle immer mehr die Fernsehberichterstatter traten.“

Dass die Informationsbranche durch Segnungen des Internets eine Renaissance erleben wird, glaubt D'Eramo nicht: „Die weitverbreitete Euphorie in Bezug auf derartigen Amateurjournalismus wird enttäuscht werden.“ Er prophezeit, dassQualitätsjournalismus nur durch die „Rückkehr zum guten alten Mäzenatentum“ überleben könne – einer Rückkehr zu feudalistischen Verhältnissen also, wie sie auch im US-Universitätswesen bereits im Gange ist: „Mit der Folge, dass das Wissen – und die Information – zunehmend den neuen Feudalherren vorbehalten bleibt. Hinter diesem Ansatz steckt der Gedanke, für eine funktionierende Gesellschaft sei nicht mehr eine breite, gebildete und/oder informierte Schicht notwendig, und es reiche, wenn Wissen und Information nur für die (wenigen) Empfänger am Endpunkt des Wirtschaftskreislaufs produziert werden; eine Öffentlichkeit sei verzichtbar.“

Schöne, neue Medienwelt: Eine Welt, in der die Masse ihren Informationsdurst mit mehr oder weniger irrelevantem Nachrichtengebräu stillt, die wirklich wichtigen Informationen aber einer relativ kleinen Elite vorbehalten sind, die sich ihre eigenen „Nachrichtendienstler“ hält. Und die Journalisten? Sie wären ausgestorben – wie auch schon Telegrafisten, Funker oder Fotoentwickler, . . .

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2018)

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