Zar und Sultan, Putin und Erdoğan, zwei Autokraten im Vergleich

Experten beleuchteten die Herrschaftssysteme in Russland und der Türkei und entdeckten dabei viele Ähnlichkeiten.

Mehr als 370.000 Menschen sind seit Ausbruch des Aufstands gegen das Assad-Regime in Syrien im März 2011 ums Leben gekommen, darunter 113.000 Zivilisten, berichtete vor Kurzem die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Wie viele dieser Getöteten auf das Konto von Russen und Türken gehen, die militärisch in diesem Bürgerkrieg interveniert haben, ist nicht bekannt. Und wie viele Russen und Türken bisher in Syrien ihr Leben lassen mussten, auch nicht. Vor allem in Russland, wo die Bevölkerung dem mit hohen finanziellen Kosten verbundenen militärischen Abenteuer im fernen Syrien mit Skepsis begegnet, wird über menschliche Verluste umso konsequenter geschwiegen.

Russen und Türken, Russisches Imperium und Osmanisches Reich, Zar und Sultan, Bolschewismus und Kemalismus, Putin und Erdoğan: Was für faszinierende Vergleiche und Gegenüberstellungen lassen sich da machen. Die Berliner Fachzeitschrift „Osteuropa“ tut das auch in ihrem jüngsten Heft mit dem Titel: „Vergleichende Toxikologie. Herrschaft in Russland und der Türkei“.

Der russischen und türkischen Intervention in Syrien widmen sich zwei Beiträge, wobei sich seit dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch die türkische Luftwaffe im November 2015 beide Staaten bemühen, einander möglichst nicht in die Quere zu kommen. Die Interessenlage der beiden Interventionsmächte ist unterschiedlich. So ist es überhaupt nicht im Interesse Moskaus, dass die Türkei dauerhaft ein Protektorat in Nordsyrien einrichtet.

Am interessantesten in dem 400-seitigen Band aber sind die Essays, die die beiden starken Männer Putin und Erdoğan und ihre Herrschaftsstile vergleichen. Der Bonner Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder schreibt in diesem Zusammenhang von „personalistischer Politik“. Bei dieser Herrschaftsmethode steht der Entscheidungsträger über den Parteien und allen anderen Institutionen, er agiert im Modus des permanenten Ausnahmezustands, er sucht das Führungspersonal in Staat, Verwaltung und Wirtschaft persönlich aus, Kompromisse zu finden und zu schließen, empfindet er eher als lästige Angelegenheit.

Die Führungsstile von Putin und Erdoğan wiesen „verblüffende Ähnlichkeiten“ aus, schreibt Heinemann-Grüder: „Gemeinsam sind den beiden Herren eine außerordentlich selektive Wahrnehmung und eine wenig nuancierte, manichäische Weltsicht, rigides Denken, schnelle Erregbarkeit, fixierte Präferenzen und ein Selbstbild, das sie zur exorbitanten persönlichen Bereicherung und zu pompösen Machtdemonstrationen berechtigt.“ Freilich, die Loyalität regimetreuer Wähler und der Günstlinge in Wirtschaft und Staatsapparat gegenüber solchen Führerfiguren drohe rasch zu erodieren, wenn diese nicht mehr imstande seien, die erwünschten Apanagen und Privilegien bereitzustellen.

Ein weiterer Beitrag untersucht, wie Putin und Erdoğan ihre Herrschaft ideologisch zu legitimieren versuchen. Auch da gibt es Gemeinsamkeiten: „Sie unterstreichen die Größe der Nation, beschwören die imperiale Vergangenheit des Landes, die Bedeutung der Religion und der ,traditionellen Werte‘. Beide stellen den Westen als Feind ihrer Länder dar. Diese Konfrontation nach außen zielt auf Integration nach innen. Gemeinsam ist beiden ein dichotomisches Weltbild, in dem innen- und außenpolitisch das schematische Freund-Feind-Denken dominiert.“ Zu dieser Beschreibung würde auch Viktor Orbán ganz gut passen. Nicht umsonst wurde dem Ungarn schon das Prädikat „Puszta-Putin“ verpasst.

Emails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2019)

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