Wenn die Universitäten als Stätten des freien Denkens abdanken

Die Einebnung des Meinungsspektrums ist von den US-Unis nach Europa geschwappt: Beispiele aus Deutschland.

Die Verengung des Horizonts an den amerikanischen Universitäten, gerade auch an den vielen Elite-Unis an der Ostküste, ist keine Konsequenz der Ära Trump. Der Feldzug der politisch Korrekten gegen alles, was ihrer Meinung nach in der akademischen Welt nach Rassismus, Diskriminierung, Faschismus oder Patriarchat riecht, hat schon viel früher begonnen. Und diesen Feldzug haben sie auch siegreich abgeschlossen: Die freie Rede und nicht-konforme Gedanken haben es heute immer schwerer, an den amerikanischen Unis vernommen zu werden. Immer wieder verzichten konservativ gesinnte Politiker oder Intellektuelle darauf, Vorträge an Universitäten zu halten, weil „politisch korrekte“ Aktivisten Proteste und massive Störaktionen angekündigt haben.

Dass Universitäten, nicht nur in den USA, eher links und liberal ticken, ist dabei nichts Neues. Neu ist, dass sie soweit links ticken, dass andere Meinungen es immer schwerer haben, sich in der akademischen Welt Gehör zu verschaffen. Inzwischen ist die Einebnung des Meinungsspektrums über den Atlantik geschwappt und auch an zahlreichen westeuropäischen Universitäten gängige Praxis geworden: In den USA „hat sich die These, dass Hochschulen gewissermaßen geschützte Räume seien, in denen nur ein bestimmtes Spektrum an Meinungen zulässig ist, sogar an sehr renommierten Universitäten durchgesetzt“, beklagt der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen.

Kempen ist ein Interviewpartner des Berliner Monatsmagazins „Cicero“, das seine Juni-Ausgabe der „Professorenjagd“ widmet. Untertitel: „Wie Political Correctness die Freiheit der Lehre zerstört“. Denn auch an deutschen Universitäten ist es zuletzt zu bedenklichen Vorkommnissen gekommen: Der herausragende Stalinismus-Forscher Jörg Baberowski von der Humboldt Berlin geriet ins Fadenkreuz einer trotzkistischen Sekte, weil er den kritischen Trotzki-Biografen Robert Service zu einem Vortrag an sein Institut eingeladen hatte; den prominenten Politikwissenschaftler Herfried Münkler (ebenfalls Humboldt Uni) verunglimpfen linke Aktivisten als „braunen Professor“, „Militaristen“ und „Revisionisten“; die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter (Uni Frankfurt) bekam die Wut der Aktivisten zu spüren, als sie zu einer Konferenz zum islamischen Kopftuch auch Kritikerinnen wie Alice Schwarzer und Necla Kelek eingeladen hatte; dem Philosophieprofessor Dieter Schönecker von der Universität Siegen wurden von der Universitätsleitung finanzielle Mittel verweigert, weil er zu einem Seminar über „Philosophie und Meinungsfreiheit“ auch den AfD-Abgeordneten Marc Jongen und den umstrittenen Autor Thilo Sarrazin eingeladen hatte; der Student Mario. S., der es in einem Seminar über Rassismuskritik an der Uni Köln gewagt hatte, auf die Herkunftsländer der Täter der unrühmlichen Kölner Silvesternacht 2015 hinzuweisen, bekam später von der Dozentin zu hören: Universitäten seien kein Ort der Meinungsäußerung, sondern Studierende hätten dazusitzen, zuzuhören und zu lernen.

Es ist kein neues Phänomen und es ist kein universitäres: Eine zielorientierte, kompromisslose Minderheit von intoleranten, sich moralisch überlegen fühlenden Menschen ist imstande, eine viel größere Gruppe nach ihren Wünschen zu lenken. Die Mehrheit lässt sie gewähren, weil sie selbst in Ruhe gelassen werden will. Man kann dieses Verhalten auch Feigheit nennen. Aber wohin wird es führen, wenn die Universitäten als Stätten des freien Denkens abdanken werden, fragt nicht nur Professor Baberowski besorgt.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2019)

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