Jauchzet, frohlocket!

Wenn aus Verzweiflung unfassbare Freude wird, lässt sich Herrlichkeit erahnen. Nach welchem Trost sehne ich mich?

BIMAIL VON Dominik Markl SJJauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage!“ Mit diesem Choral beginnt das Weihnachtsoratorium, das Bach für den Jahreswechsel 1734/1735 in Leipzig vertont hat. In den Jahren zuvor hatten seine zweite Frau Anna Magdalena und er sieben gemeinsame Kinder verloren. Christiana Sophia und Christian hatten drei Jahre gelebt, Christiana Dorothea ein Jahr, Ernst einen Tag, Christiana Benedicta drei Tage. „Rühmet, was heute der Höchste getan“ – so will es der Choral. Im Jahr davor war im April Regina mit viereinhalb gestorben, im November der neugeborene Johann. Haben die Geschwister mit den Eltern geweint?

„Lasset das Zagen, verbannet die Klage, stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an!“ Wer kennt die Schlaflieder, die den Wüstenblumen gesungen worden sind? „Dienet dem Höchsten mit herrlichen Chören, lasst uns den Namen des Herrschers verehren!“ Wie konnte Johann Sebastian, dessen Musik verrät, dass er zu den gefühlsreichsten Menschen seines Jahrhunderts zählte, noch die Feder ansetzen, um Pauken und in Höhen tanzende Trompetenlinien zu notieren? Auch sein Genie und die Perfektion jahrzehntelanger Übung der Tonhandwerkskunst konnten ihn dazu nicht befähigen. Diese bebende, alle Feierlichkeit und Würde und Gewissheit voraussetzende Freude steigt aus einer Erfahrung auf, die in der Verzweiflung unmöglich erscheint, die aber nur aus der Zerrissenheit des Herzens hervortreten kann, aus der Erfahrung des Trostes.

Diese Bach'sche Freude ist keine leichte, verfliegende, unterhaltsame, nein, eine gewichtige, bebende, auf mächtigen Flügeln getragene, eine weinende Freude. Vielleicht hätte die Welt ohne Bachs bittere Trauer über seine Kinder das Weihnachtsoratorium nie zu hören bekommen. Vielleicht wäre ohne diesen Schmerz der innere Jubel nie hörbar geworden, über jenes neugeborene Kind, das den Toten Leben verheißt.

Diese paradoxe Erfahrung des Trostes, die im Moment der Verzweiflung nur wie Hohn klingen kann und selbst im aufbrechenden Trost noch unbegreiflich bleibt, die schlicht überwältigt, sie spricht Jesus an, wenn er in der tödlichen Krankheit seines Herzensfreundes Lazarus, die ihn selbst im Innersten schmerzt, schon göttliche Herrlichkeit ahnt. Eben diese paradoxe Erfahrung durchzieht die Geschichte der Mystik im Gedanken, alles solle zur größeren Herrlichkeit Gottes dienen. Alles, das heißt selbst alle Verzweiflung. Seine tiefste Wurzel hat dieser Gedanke in der biblischen Vorstellung der allumfassenden göttlichen Herrlichkeit.

Auch wenn im neuen Jahr 2010 nicht alles gut werden wird: Welche verlorenen Schätze ersehne ich wieder in Armen zu halten – wie die Bachs ihre sieben Kinder? Wage ich noch zu hoffen, dass einmal alles zu Herrlichkeit wird?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2010)

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