Zynismus pur

Ein Siebenjähriger soll in einer SOS-Kinderdorf-Einrichtung vergewaltigt worden sein.

Die Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche und (nicht nur) in Wiener Kinderheimen haben in den vergangenen Jahren in Österreich für Schlagzeilen gesorgt. Die Aufarbeitung dieser Zeit sollte die Gesellschaft sensibilisiert haben. Lehrer, Betreuer, Verwandte und Eltern sollten schon bei den geringsten Anzeichen alarmiert sein. Sollten. In der Praxis sieht es zuweilen aber anders aus, wie jetzt bekannt gewordene Vorfälle in einer Wohngemeinschaft eines SOS-Kinderdorfs in Wien zeigen.

Die Betreuer registrierten dort, dass ein Zehnjähriger öfter sexuelle Handlungen an seinem fünfjährigen Zimmerkollegen vornimmt. Die Reaktion? Der Zehnjährige wird in ein Nebenzimmer in derselben WG verlegt – er bleibt also täglich im direkten Kontakt mit seinem Opfer. Ein Jahr später kommt es zu einem sexuellen Missbrauch, der Ältere soll den nun Siebenjährigen vergewaltigt haben.

Fassungslos macht die Stellungnahme von SOS-Kinderdorf. Man habe doch reagiert, aber die Kinder nicht trennen können, weil kein Platz gewesen sei. Und: „Im Nachhinein wissen wir, dass wir sie hätten trennen sollen.“ Diese Begründungen sind an Zynismus kaum zu überbieten.

Bei dem geringsten Anzeichen oder Verdacht von Kindesmissbrauch (egal durch wen) haben sofort alle Maßnahmen zum Schutz des Kindes anzulaufen. Punkt. Es ist zu hoffen, dass sich das zumindest jetzt überall durchgesprochen hat – auch bis zum SOS-Kinderdorf.

martin.stuhlpfarrer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2013)

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