Saudiarabien: Die Reform der Theokratie wäre ihre Abschaffung

Der Verstorbene König Abdullah wurde einst als Erneuerer missverstanden. Doch Reform ist in diesem System nicht vorgesehen.

Er heißt Salman bin Abdalaziz al-Saud, ist - vermutlich, so ganz genau weiß man das ja nie - jugendliche 79 Jahre alt und die Zukunftshoffnung Saudiarabiens. Nach dem Tod von König Abdullah in der Nacht auf Freitag hat also plangemäß der von ihm designierte Kronprinz das Zepter im weltweit größten Ölexportland übernommen.

Freilich: Niemand wird daran gehindert, auch in einem Alter, in dem andere Monarchen - vielleicht mit Ausnahme der Queen - ans Abdanken denken, noch zum Reformer zu werden. Und nichts wäre irriger als anzunehmen, ein gelegentlich ventilierter Übergang der saudischen Thronfolge auf die Enkelgeneration von Staatsgründer Abdalaziz ibn Saud würde zu einem Erneuerungsschub führen.

Aber das Kernproblem liegt viel tiefer. Es liegt im Prinzip darin, dass es es sich bei Saudiarabien de facto um eine Theokratie handelt. Der jeweilige König, "Hüter der heiligen Stätten von Mekka und Medina", bezieht seine Legitimation vor allem aus dem Bündnis mit der hohen sunnitischen Geistlichkeit. Darauf ist der Staat gegründet.

Bei seinem offiziellen Amtsantritt 2005 war Abdullah vielfach als "Reformer" apostrophiert worden, doch das wirkt aus heutiger Sicht wie ein großes Missverständnis. Ja, Abdullah hat Wahlen auf kommunaler Ebene zugelassen (2015 sollen sogar Frauen wählen dürfen), unter seiner Herrschaft wurde die Wirtschaft ein wenig liberalisiert, aber das macht ihn allenfalls im Vergleich mit seinem noch konservativeren Vorgänger Fahd zum "Reformer". Wenn die Sonne tief steht, werfen eben auch Zwerge lange Schatten. Nur zur Erinnerung: Frauen dürfen weiterhin nicht Autofahren, und die erste Chefredakteurin eines saudischen Mediums muss weiterhin ihren Ehemann um Erlaubnis fragen, wenn sie ins Ausland reisen will. Die Verhältnisse in Saudiarabien mögen sich im Schneckentempo ändern, aber die Welt rundherum ändert sich viel schneller.

Nein, das Wort Reformer führt in diesem Zusammenhang völlig in die Irre. Die nachhaltigste Reform, heißt es so sarkastisch wie treffend im Nachruf der Agentur Reuters, war es, die Erbfolge in geordnetere Bahnen zu lenken. Modernisierung von Politik und Gesellschaft ist auch gar nicht die Aufgabenstellung, vor der sich ein saudischer Monarch sieht, in diesen Tagen schon gar nicht: Der arabische Frühling - bei dessen Niederschlagung im Nachbarland Bahrain die Saudis so rasch wie schlagkräftig mitgeholfen haben - hat wohl jeden Gusto auf Reformen, der in Spurenelementen vielleicht vorhanden war - nachhaltig ausgetrieben.

Dazu kommt, dass die Monarchie weiter unter der - tatsächlichen - Bedrohung durch die auf der arabischen Halbinsel starke al-Qaida und der - bisher vor allem verbalen - Bedrohung durch die Eiferer des "Islamischen Staats" steht. Dass die wahabbitische Ideologie und die saudischen Petrodollars diese Extremisten genährt haben, ist zwar ein Treppenwitz, aber einer, bei dem nicht nur den Royals in Riad des Lachen im Hals stecken bleibt.

Man muss in diesem Zusammenhang wohl den 1995 verstorbenen deutschen Dramatiker Heiner Müller zitieren: Optimismus (in Bezug auf tiefgreifende Reformen), ist hier lediglich ein Mangel an Information, Österreichs Erfahrungen mit dem sogenannten Dialogzentrum lassen grüßen. Denn die Reform der saudischen Theokratie - und das gilt 1:1 auch für Riads schiitischen Rivalen Iran - wäre ihre Abschaffung.

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