Meinung: Böse Jugend und rosa Brille

Gegen den Mainstream zu argumentieren ist immer reizvoll – und meist richtig.

Natürlich ist es nicht ohne Reiz, gegen das, was sich als Mainstream versteht, zu argumentieren. Erhöhte Aufmerksamkeit ist jedenfalls garantiert. Und es scheint fast so etwas wie ein Naturgesetz zu geben, dass man damit meist nicht so falsch liegt.

Daher wollen jene Experten, die die Stadt Wien versammelt hat, auch sehr genau gehört werden. Sie glauben in den Aussagen über steigende Kriminalität unter Jugendlichen Missinterpretationen zu erkennen. Wird schon wahr sein, dass heute einfach rascher angezeigt wird als früher. Man will sich ja nicht selbst Scherereien einhandeln und delegiert das Einschreiten lieber an die Obrigkeit. Die wird schließlich auch dafür teuer bezahlt. Und natürlich wird mit dem ungebremsten Zunehmen des Durchschnittsalters der Gesamtbevölkerung die Toleranz Jüngeren gegenüber sinken. Allein schon aus Zorn, selbst nicht mehr jung zu sein.

Doch die zahlreichen Indizien (neben Statistiken auch Leidensberichte von Lehrern), die auf einen tatsächlichen Anstieg der Gewalt von und unter Jugendlichen hindeuten, mit dem Blick durch die rosa Brille nonchalant zu übersehen ist genauso problematisch wie Skandalisierungen. Oder würde irgendjemand auf die Idee kommen, einen Anstieg von Anzeigen wegen sexueller Gewalt gegen Frauen oder wegen Misshandlung von Kindern auf ähnliche Weise zu relativieren? Eben.


dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2009)

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