Die Freilassung des als Attentäter verurteilten al-Megrahi gebietet die Menschlichkeit.
So weit man es als Unbeteiligter beurteilen kann, war dies die bisher einzige nachvollziehbare Entscheidung im ganzen Lockerbie-Komplex: den als Attentäter verurteilten Abdel Basset al-Megrahi aus humanitären Gründen freizulassen. Der Mann hat nach Meinung der Ärzte noch ein paar Wochen zu leben, ihm ein Sterben daheim im Kreis der Familie zu ermöglichen gebietet die Menschlichkeit. Und zwar ganz unabhängig davon, ob er, wie seine Richter urteilten, tatsächlich hinter dem Lockerbie-Attentat steckt und somit 270 Menschenleben auf dem Gewissen hat – oder nicht. Oder nicht allein.
Schon im ersten Prozess gab es gravierende Ungereimtheiten. Im Lauf der Jahre kamen weitere hinzu, und so ergibt sich schließlich ein Bild, das der Justiz eines europäischen Landes nicht würdig ist: Beweismaterial wurde dem Gericht vorenthalten; ein zentraler Zeuge zog seine Aussage zurück und legte sogar nahe, dass er – unwissentlich – an der Fabrikation eines angeblichen Beweisstücks mitgewirkt hat. Das war in Summe auch der Revisionskommission zu viel, die nach Jahren ein neues Berufungsverfahren anordnete. Doch dies ist nun Geschichte, und eine Untersuchung der skandalösen Vorgänge wird es wohl nicht geben. Dass al-Megrahi freikommt, mag für die Hinterbliebenen ein Schock sein. Was sie aber wirklich nicht verdient haben, ist, dass die Hintergründe des Todes ihrer Angehörigen wohl nie zur Gänze erhellt werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2009)