Glaubensfrage

Islamische Bekleidungsvorschriften

Über islamische Bekleidungsvorschriften lässt sich trefflich (?) streiten. Dabei wird vergessen, dass auch in Kirchen Regeln existieren.

Kopftuch, ja oder nein. Das ist hier nicht die Frage. Auch nicht, ob ein Burkaverbot Frauen vor Diskriminierung und männlicher Unterdrückung schützt, sie erst recht diskriminiert und stigmatisiert, oder ob eine derartige Reglementierung in einer freien Gesellschaft die richtige Antwort auf ein tatsächliches/vermeintliches religiöses Gebot ist. Was bei der allgemeinen Fixiertheit auf den Islam in Vergessenheit gerät: Bekleidungsvorschriften existieren auch für den Besuch katholischer Kirchen.

Gerade jetzt im Sommer kann das Problem recht rasch virulent werden. Vor einer Kathedrale in einem südeuropäischen Land stehend, kann es Frauen, besonders diesen, aber auch Männern, passieren, dass ihnen plötzlich sehr bestimmt das Eintreten in das Innere des Gotteshauses verwehrt wird. Aus mit der herbeigesehnten Kühle im großzügigen Kirchenraum. Der Traum von einem Moment der Ruhe und des Sich-Niederlassens – geplatzt. Und, natürlich, der Verzückung über das Innere beraubt, all die Kunstschätze, Fresken, Figuren – nur zweidimensional im Online-Reiseführer anzusehen. Warum? Weil leichtfertig vergessen wurde, dass Knie und Schultern bedeckt zu sein haben.

Ob in dem sich aus der Terror-Umklammerung lösenden Barcelona vor der Catedral de la Santa Creu i Santa Eulàlia, weiter östlich vor dem Duomo di Santa Maria Nascente, besser geläufig als Mailänder Dom oder Österreich noch näher vor der Basilica di San Marco in Venedig: Die Bilder gleichen einander. Erst eine ansehnliche, nicht selten abschreckend lange Menschenschlange, dann, so nah und doch so fern dem Ziel, die strengen Blicke vor dem Eintritt, ob die potenziellen Besucher (Beter sind es so gut wie nie) entsprechend gekleidet sind.

Erklären Sie einmal einem ohnedies wegen der Hitze und dem Strandentzug unleidlichen Kind, weshalb die in den Augen eines Türstehers unzüchtig gekleidete Mama draußen bleiben muss. Oder weshalb sie in langwierige Preisverhandlungen mit wie aus dem Nichts auftauchenden Straßenhändlern tritt. Diese bieten im Eingangsbereich unbehelligt (und teilweise unverschämt) jeder Beschreibung spottende Tücher zum Erwerb an, mit denen Touristinnen ihre Blößen bedecken können. Manchmal verkauft auch die jeweilige Kirche selbst gleichzeitig mit den Eintrittskarten offenkundig billigst hergestellten Textilfirlefanz zum Umhängen. Ob das besser anzusehen oder mit der Würde des Hauses leichter vereinbar ist als ein nacktes Knie? Männer mit um die Hüften gegürteten Tüchern geben überhaupt eine schlechte Parodie ab. Kirchen werden so zur Bühne unfreiwilliger Komik.

In Österreich reicht es meist schon, nicht unbedingt in der Nähe des Mesners Burger oder Kebab zu verzehren – mit und ohne nackte Schultern der Besucher. Darstellungen in den Kirchen sind manchmal ohnedies wesentlich freizügiger.

dietmar.neuwirth@diepresse.co

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2017)

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