Religion reflektiert – Über Letzte und vorletzte Dinge

Der Klimawandel ist in aller Medien. Das miese politische und gesellschaftliche Klima für Christen weniger. Gibt es da auch einen Wandel? Einen Wandel zum – Besseren?

Es soll ja Leute geben, die, je häufiger ihnen ein Begriff in persönlichen Gesprächen oder im multimedialen Konsum begegnet, abschalten oder gar Aversionen entwickeln. Das bis vor gar nicht so langer Zeit unverdächtige Wort Klima neuerdings symbiotisch verbunden mit dem Substantiv Wandel (oder, mit durchaus erwartbarer Neigung zur Hysterie: Krise) gibt dafür ein Beispiel ab.

Auch Themen haben einen Konjunkturverlauf. Sie kommen oft sehr plötzlich und gehen, einmal früher, dann wieder später. Passend zum langfristigen Phänomen namens Klima: Auch der Klimawandel wird uns sicher noch länger beschäftigen. Ein anderes Thema hat zwar besonders für Betroffene höchste Bedeutung, im gesellschaftlichen Diskurs spielt es aber keine Rolle: das Verfolgt-Werden von Christen in muslimisch dominierten Ländern. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, das Thema sei den Meinungseliten irgendwie peinlich. Glaube an sich wird ja heute gern als peinlich empfunden und rückständig bezeichnet.

Soeben hat ein Bischof den öffentlichen Weckruf bezogen auf die Situation im Irak versucht. So sagt der mit Rom unierte chaldäische Erzbischof Erbils, Bashar Warda, wörtlich: „Es gibt immer noch extremistische Gruppen, die immer größer werden und behaupten, das Töten von Christen und Jesiden trage zur Verbreitung des Islam bei. Nach der Verfassung des Irak sind wir zweitklassige Bürger. Wir sind denjenigen ausgeliefert, die sich uns gegenüber überlegen erklären.“ Gleichzeitig gibt es Anzeichen für einen vorsichtigen Kurswechsel. Selbst noch so scheinbar kleine Schritte dürfen nicht unterschätzt werden.

Also: Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, hat höchstselbst die Grundsteinlegung für einen Sakralbau vorgenommen. Nicht eine neue Moschee wird errichtet, sondern eine Kirche, und zwar für die durch Flüchtlinge wachsende syrisch-orthodoxe Gemeinde Istanbuls. Tatsächlich. Erstmals seit Gründung der Republik im Jahr 1923! Und Erdoğan hat bei dem sogar live im TV übertragenen Akt die syrischen Christen nicht nur als „Söhne der Region“ bezeichnet. (Mag sein, an sich eine Plattitüde, aber dennoch angesichts jahrzehntelanger Ignoranz positiv anzuerkennen.) Er hat die Türkei dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass den Christen genügend Kirchen für Gottesdienste zur Verfügung stehen – neue Töne vom Bosporus. Gleichzeitig schreitet in Ägypten der Prozess der Legalisierung koptischer Kirchen und Gebäude voran, die von 1934 bis 2016 verboten und häufig Ziel islamistischer Anschläge waren.

Der meteorologische Klimawandel ist nicht zu leugnen. Wer weiß, vielleicht kann bald auch für die Gewährleistung der Religionsfreiheit ein Wandel konstatiert werden. Diesfalls zum Besseren.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2019)

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