Der lange Abschied vom Mythos Dollfuß

„Medienkanzler“ Faymann bricht mit einer – selbst von SPÖ-Kanzlern gebilligten – Usance, die man auch anachronistisch nennen könnte.

Bisher war nur bekannt, dass Werner Faymann auf die „Kronen Zeitung“ hört. Nun kommt der „Standard“ auch noch hinzu. Dieser hatte die für den 26. Juli geplante Gedenkmesse für Engelbert Dollfuß thematisiert. Prompt sagte sie der Kanzler ab.

Die Dollfuß-Gedenkmesse ist eine umstrittene Usance seit Jahrzehnten, eine Feier, die auch unter den sozialdemokratischen Bundeskanzlern Kreisky, Sinowatz, Vranitzky, Klima und Gusenbauer in der Kapelle des Bundeskanzleramts stattgefunden hat.

Der Umgang mit Engelbert Dollfuß ist nach wie vor ein heikler. Der ÖVP gilt der im Amt ermordete Kanzler als erstes Opfer des Nationalsozialismus, der SPÖ als Arbeitermörder. Beides trifft zu.

Man wird Geschichte weder verstehen noch aus ihr lernen können, wenn man sie verschweigt. So gesehen ist ein Erinnern an Engelbert Dollfuß in all seinen Facetten angebracht. Aber: Muss ein Mann, der nachweislich die Demokratie ausgeschaltet hat und einen autoritären Staat mit Anleihen beim Mittelalter errichtet hat, auch noch im Jahr 2010 mit einer Gedenkmesse geehrt werden? Diesen Anachronismus können wohl nur noch ÖVP-Politiker vom Schlage eines Fritz Neugebauer nachvollziehen.

Auch wenn Werner Faymann nun möglicherweise wieder einmal auf einen Medienzuruf reagiert hat, in der Sache wird man dem Kanzler recht geben müssen.


oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2010)

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