Wer Moralismus verweigert, wird schnell zum Provokateur

Einige Anmerkungen zum Gestalter unserer diesjährigen Weihnachtsausgabe, Lukas Pusch, und zu den Gründen für seine Außenseiterposition.

Lukas Pusch ist kein klassischer Außenseiter der Kunst. Er ist nicht Spitzwegs „armer Poet“, nicht das verkannte Genie, das erst nach dem Tod entdeckt werden wird. Er ist einer der erfolgreicheren Künstler seiner Generation. Ernst Hilger, der uns bei der Planung dieser „Presse“-Weihnachtsausgabe ein wunderbarer Partner ist, wird ihm im Frühjahr eine Einzelausstellung widmen. Man muss sich um Lukas Pusch keine Sorgen machen.

Ein Außenseiter ist er trotzdem. Weil er zwei Überzeugungen hat, die im österreichischen Kunst- und Kulturbetrieb als absolutes No-go gelten. Erstens lehnt er das blühende Subventionswesen ab. Eigene Erfahrungen haben ihm früh klargemacht, dass in Österreich die falschen Menschen miteinander über Kunst geredet haben: Künstler und Hofräte. Gute Kunst war nicht das, was erfahrene Sammler kaufen, sondern das, was politisch eingesetzte Beamte für subventionswürdig halten. Das hat sich Gott sei Dank gebessert, aber es ist noch da.

Zweitens hält Lukas Pusch nichts von den erigierten Moralzeigefingern, mit denen österreichische Künstler und Intellektuelle gern heldenhaft um das bereits Erreichte kämpfen. Lukas Pusch hält wenig von politischer Korrektheit, das zeigen auch die Arbeiten, die er in dieser Ausgabe präsentiert. Er hat sich mit dem sicheren Instinkt des ehemaligen Zeitungsgestalters für eines der zentralen Themen der zeitgenössischen westlichen Gesellschaften entschieden: die Frage der Kompatibilität von Religion und Politik, von Christentum und Islam, von Säkularismus und religiösem Eifer.

Lukas Pusch hat keine Antworten, sondern nur Bilder, in denen Fragen lauern. Menschen, die seine Holzschnitte vorab gesehen hatten, sagten uns einen Sturm der Entrüstung voraus. Um genau zu sein, müssen wir, wenn die Prognosen zutreffen, mit zwei Stürmen der Entrüstung rechnen: Der eine kommt von jenen, die in Puschs künstlerischer Umsetzung des Themas die Fortsetzung der FPÖ-Propaganda mit den Mitteln des Holzschnitts sehen. Und der andere von jenen, die im Titelsujet, das den Ritt von Jesus und Mohammed zum Propheten Jesaja zeigt, ein Symbol dafür erblicken, dass auch „Die Presse“, die man bisher als Buchstabenwächter des Abendlandes geschätzt hat, sich bereits der Multikulti-Lulu-Ideologie unterworfen habe, die so tut, als ob man sich dem Herrschaftsanspruch des expansiven Islam durch Vorabunterwerfung entziehen könnte.

Lukas Puschs methodischer Ausweg aus der Sackgasse des Moralismus führt über den Weg der Ironie gegen alle. Man kann das für eine Luxusposition halten, die sich allenfalls Künstler und vielleicht Journalisten erlauben können. Aber wer sollte sie sich denn leisten, wenn nicht jene, deren gesellschaftliche Aufgabe eben nicht in der Durchsetzung der einen Moral gegen die andere besteht, sondern in der Reflexion des Vorgangs? Was hat sie denn zustande gebracht, die sogenannte „politisch engagierte“ Kunst, außer ihrer Instrumentalisierung durch die Politik?


Ich halte es für einen Glücksfall, wenn sich ein Künstler wie Lukas Pusch mit einem Thema wie dem Verhältnis von Christentum und Islam unter den Bedingungen der zeitgenössischen Demokratie auseinandersetzt. Puschs kühler, moralisch indifferenter Blick auf das Thema bringt eine Diskussion auf die notwendige Betriebstemperatur, die von den marodierenden Moralisierern der politischen Korrektheit als das eigentliche Problem diffamiert wird.

„Ich bin ehrlich erschüttert“, schrieb mir ein Leser, „wie Sie einen Häretiker, Pädophilen, Kriegstreiber, falschen Propheten und (Juden-)Mörder gerade zu Weihnachten verherrlichen, jenem Jesus gegenüber, welcher Feindesliebe, Vergebung, Nichtsteinigung, Licht und Frieden in unsere Welt gebracht hat und bringen wollte. Allah mag groß sein, wenn der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs damit gemeint ist, Mohammed, sein Prophet, ist dennoch ein Mörder.“

Ich kann nur sagen, die Erschütterung ist ganz auf meiner Seite. Und ich bin froh darüber: Ohne solche Erschütterungen werden wir auf die Fragen, die uns wirklich bewegen, keine Antwort finden. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein gesegnetes, vielleicht sogar erschütterndes Weihnachtsfest.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2010)

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