Unser Wettbewerbsproblem ist ein Wettbewerbsproblem

Österreich gibt nicht zu wenig Geld für seine Bildungsinstitutionen aus. Aber es hat ein Säkularisierungsproblem: Der Glaube an den Wettbewerb ist verschwunden.

Wenn Bildungsdebatten unter Berufung auf statistisches Material geführt werden, ist Vorsicht angebracht. Ein Klassiker dieses Fachs sind die Vergleiche der Akademikerquoten zwischen Österreich und Frankreich, in denen wir immer ziemlich schlecht ausgesehen haben. Irgendwann kam man drauf, dass in Frankreich jede Kindergärtnerin als Akademikerin geführt wird, was einen Teil der Diskrepanz erklärt hat. Inzwischen ist es auch in Österreich en vogue, den Akademikeranteil nicht durch einen Anstieg der Zahl der Universitätsabsolventen, sondern durch ein Absenken der Voraussetzungen für akademische Grade zu erhöhen.

Institutionen, die früher Nichtakademiker hervorgebracht haben, bringen heute Akademiker hervor (MTD, MAS, PH), ohne dass sich an ihren Curricula Wesentliches geändert hätte. Es war einfach reizvoller, die Tatsachen den eigenen Strukturen anzupassen als die eigenen Strukturen den Tatsachen. Jeder Vorschlag zur Umkehrung dieses Trends verdient Unterstützung.

Immer öfter hat man den Eindruck, dass die militärisch-statistische Präzision, mit der Bildungsvergleiche exerziert werden, einen Hauptzweck verfolgt: die Dinge verschwimmen zu lassen. Betreuungsquoten, BIP-Prozent pro Kopf, Lehrer-Schüler-Verhältnis, Forschungsquoten, Quoten aller Art: Sie bedeuten alles, sagen aber nichts. Zumindest nicht darüber, was Wettbewerbsfähigkeit auf dem Feld der Bildung überhaupt bedeutet, und wie sie verbessert werden kann. Oder glauben wir wirklich, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs dadurch erhöhen können, dass sich inzwischen jeder bessere Wifi-Kurs als Universitätslehrgang schön macht?

Unser Problem gegenüber China und den Vereinigten Staaten ist nicht, dass die Konkurrenz mehr Geld für den tertiären Bildungssektor ausgibt (die Amerikaner übrigens mit einem viel größeren privaten Anteil als wir, die Chinesen fast ausschließlich staatlich, was zeigt, wie irrelevant diese Frage ist). Unser Problem ist die Antwort auf die Frage, warum sie mehr Geld ausgibt.

Die Antwort ist immer die gleiche: Wir stehen im globalen Wettbewerb mit Gesellschaften, in denen Bildung als unbedingte Voraussetzung für das persönliche und gesellschaftliche Fortkommen des Einzelnen gilt. Und in denen die Überzeugung, dass zunächst einmal der Einzelne für dieses sein Fortkommen verantwortlich ist, nicht als Verstoß gegen das verfassungsmäßig garantierte Menschenrecht auf Totalversorgung durch die Gemeinde Wien gilt. Der Österreicher zieht das Dableiben dem Fortkommen in jeder Hinsicht vor, was kein Wunder ist, wenn das Dableiben auch im Sinne der sozialen Immobilität so kommod ist.

Säkularisierung, das heißt auf Österreichisch, dass man den Menschen in jahrzehntelanger Missionsarbeit den Glauben an den Wettbewerb ausgetrieben hat. Anders lässt sich die nahezu panische Angst vor jeder Form der inhaltlichen Selektion auch und gerade im Bildungsbereich nicht erklären. Anders lässt sich ebenso nicht erklären, warum in Österreich plausible Alternativen zum gleichmäßig lauwarmen Regen aus der Bildungssubventionsgießkanne nicht einmal ignoriert werden.


Warum definiert die Regierung nicht einen Betrag, der für die Ausbildung eines jeden jungen Menschen zur Verfügung gestellt wird, und überlässt es den Eltern, diesen Scheck dort einzulösen, wo sie das für ihr Kind ansprechendste Angebot sehen? Warum definiert der Staat nicht eine Anzahl von Studienplätzen pro Fach, die von den geeignetsten Kandidaten in Anspruch genommen werden können? Warum leitet er nicht einen großen Teil der Universitätsmittel in kompetitive Forschungsmittel um, die nicht die Verhandler mit dem besten Sitzfleisch, sondern die Wissenschaftler mit den besten Projekten bekommen?

Ob wir die von der Regierung gesteckten Ziele für BIP-Prozentquoten der Bildungsausgaben erreichen, ist ungefähr so wichtig wie der Prozentanteil der burgenländischen Bergbauern unter den Vorarlberger Akademikern. Wir haben nicht ein Wettbewerbsproblem, weil wir zu wenig Geld ausgeben. Wir haben ein Wettbewerbsproblem, weil wir ein Wettbewerbsproblem haben.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2011)

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