Leitartikel: Die vertane Chance

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Für die ÖVP war Reinhold Lopatka als neuer »Mr. Europa« vermutlich die richtige Wahl. Ein zweiter Sebastian Kurz ist der neue Staatssekretär im Außenministerium aber nicht. Man muss sagen: leider.

Von Habermas bis Glucksmann: Jetzt streiten also auch die Philosophen über die Eurokrise. Für die einen ist das eine gute Nachricht, die anderen deuten es als Warnsignal dafür, dass nun echt keiner mehr weiterweiß. Sprachlich ist es jedenfalls eine schöne Abwechslung zum ESM-EFSF-Vokabular. Wenngleich die Abhandlungen der Wirtschaftsexperten und die Essays der Denker eines gemeinsam haben: Egal, wie klug, sie lassen den Leser mit einer Lücke zurück – nämlich was all das eigentlich für den konkreten Alltag bedeuten soll.

„Verstehen Sie das alles noch?“, fragte der Autor Ferdinand von Schirach vor einiger Zeit im „Spiegel“. Und die ehrliche Antwort lautet immer öfter: Nein. Auch Parlamentarier gaben zu, nicht so genau zu wissen, wozu sie beim ESM-Votum in letzter Konsequenz Ja sagten. Als Laie kann man sich derzeit quasi nach Belieben aussuchen, ob man lieber Experten A oder B glaubt, ob einem Stronachs Schilling-Nostalgie, Straches Nordeuro-Rhetorik oder eben doch die mehr oder weniger zähneknirschende „alternativlose“ EU-Solidarität besser gefällt. Darauf reagieren viele verärgert, überfordert. Nicht nur die Finanzmärkte, auch die Bürger misstrauen Europa längst.

In so einer Situation klingt Spindeleggers Idee, den neuen Staatssekretär im Außenministerium verstärkt mit der Vermittlung der EU-Politik im Inland zu beauftragen, nicht schlecht. Natürlich kann man die Krise weder wegerklären noch weglächeln (bezüglich Letzterem besteht bei Reinhold Lopatka eh keine Gefahr). Tatsächlich hat die EU aber seit jeher neben anderem auch ein Kommunikations- bzw. Informationsproblem, wie auch die neue, leicht verzweifelte deutsche Promi-Kampagne „Ich will Europa“ zeigt. Ob, wie in Deutschland, Volksmusikanten-Testimonials das richtige Mittel sind, sei dahingestellt. Jubel-PR braucht man nämlich nicht. Dass es aber sinnvoll ist, einem schwierigen Thema Gesicht und Adresse zu geben, hat hierzulande zuletzt ein anderer Staatssekretär bewiesen: Sebastian Kurz, seines Zeichens hyperaktives Kommunikationstalent. Er hat die Ausländerdebatte immerhin versachlicht.

Bloß: Lopatka ist nicht Kurz. Und um Versachlichung wird es auch nicht gehen. Denn abgesehen davon, dass Lopatka Steirer ist (und seine Bestellung die renitente Landespartei beruhigen soll), ist er vor allem Wahlkampf-Profi. Als solcher wird er das Thema taktisch für 2013 aufbereiten und dabei eine härtere Gangart anschlagen. „Kantig“ heißt das Motto, mit dem man BZÖ und FPÖ begegnen will. Anders sind mit dem Thema auch keine Stimmen zu gewinnen. Den Ton hat der ÖVP-Vizekanzler und Außenminister bereits vorgegeben: Notfalls werde man Staaten aus der Eurozone werfen müssen, sagt er. Wer nicht spart, fliegt – klingt kernig und lässt sich im Wahlkampf bequem fordern. Denn bis so ein Vorschlag umgesetzt würde, dauert es mehrere Jahre, es bräuchte Vertragsänderungen, Volksabstimmungen, Ausgang ungewiss – man erinnere sich an die Verfassungsreferenden.

Für die ÖVP war Lopatka die logische Wahl. Für das Thema Europa ist er eine vertane Chance. Sie war ohnehin nicht groß.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2012)

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