Das "Menschenrecht" auf das tägliche Schnitzel

Die EU-Agrarpolitik ist Sozialpolitik mit anderem Namensschild. Es gibt viele gute Gründe, das zu ändern. Für die Politik ist das jedoch ein gefährlich heißes Eisen.

Teller oder Tank? Es ist eine einprägsame Formel, auf die Kritiker von Agrosprit die Diskussion über die Nachfragekonkurrenz von Ethanol- und Lebensmittelproduzenten zugespitzt haben. Denn wer kann noch so herzlos sein und gedankenlos Weizen im Motor seines Autos verbrennen, wenn gleichzeitig Millionen Menschen in Afrika verhungern? Und auch Agrarexperten bestätigen, dass die Nachfrage von Agrospritproduzenten in einer Zeit schwindender Getreideüberschüsse Einfluss auf die Entwicklung an den Rohstoffbörsen hat – also ein Grund für die Rekordpreise auf dem Weltmarkt ist.

Doch auch wenn es genügend Kritikpunkte am von Befürwortern euphemistisch „Biosprit“ genannten Treibstoff gibt, etwa, dass dadurch eine neue Subventionsschleuse für die Landwirtschaft geöffnet werden dürfte, so ist die Gegenüberstellung von Nahrungsmitteln und Agrosprit eine unzulässige Verkürzung. Gemeinsam machen diese beiden Segmente hierzulande gerade einmal 27 Prozent der gesamten Getreidenachfrage aus. Und auch weltweit sind es mit 53Prozent nur etwas mehr als die Hälfte der globalen Produktion von Weizen, Mais oder Roggen.

Ein großer Teil des geernteten Getreides kommt nämlich weder in den Tank noch auf den Teller, sondern in die Futtertröge von Schweinen und Rindern. Diese landen schlussendlich zwar wieder auf dem Teller, zuvor werden in der Fleischproduktion aber riesige Mengen Getreide gebraucht, um verhältnismäßig wenig Fleisch daraus zu machen. So werden bis zu 15 Kilo Körner benötigt, um ein Kilo Schnitzel oder Wurst herstellen zu können. Bei Biofleisch ist dieser Wert übrigens noch höher als bei konventioneller Haltung. Und da in Mitteleuropa seit 1950 der jährliche Fleischkonsum von 25 Kilogramm auf knapp 70 Kilogramm pro Kopf angestiegen ist, landet in Österreich jedes zweite Korn im Magen eines Nutztieres.

Natürlich muss es in einem freien Land jedem unbenommen sein, wie viele und welche Lebensmittel er konsumiert. Auch, wenn ein Steak zum Frühstück dazugehört. Allerdings gibt es einen Grund, warum der Fleischkonsum stetig angestiegen ist: So werden in der Landwirtschaft das System von Angebot und Nachfrage und der sich daraus ergebende reale Preis der Waren seit Jahrzehnten außer Kraft gesetzt. Preise von wenigen Euro für ein Kilo Fleisch sind nur möglich, weil die Bauern mehr als 80Prozent ihrer Einnahmen von der öffentlichen Hand bekommen.


Eingeführt wurde dieses System nach dem Zweiten Weltkrieg, um den Hunger in Europa zu bekämpfen. Heute führt es jedoch zu einer künstlichen Senkung der Preise, wodurch deren ökonomisches Signal an die Verbraucher wegfällt. Was wenig kostet, wird auch als geringwertig empfunden. Zudem werden die echten Kosten ja lediglich verschleiert. Der Konsument findet sie statt auf dem Kassenbon im Supermarkt halt auf dem Lohnzettel in Form von Steuern. Und auch wenn es vielen Österreichern aufgrund der jüngsten Steigerungen beim täglichen Einkauf anders vorkommt – Fleisch war noch nie so günstig wie heute. Musste ein Industriearbeiter laut einer Studie des Wifo im Jahr 1980 noch eine Stunde und 22 Minuten für ein Kilo Schweinsschnitzel arbeiten, so sind es heute nur noch 42 Minuten.

Die Agrarpolitik der EU ist heutzutage also vor allem Sozialpolitik. Es gäbe viele gute Gründe, dies zu ändern. So treibt die Fleischproduktion nicht nur den Getreidepreis, auch die Klimabelastung durch den Methanausstoß der Rinder ist laut Wissenschaftlern ein nicht zu unterschätzender Faktor. Und zu guter Letzt ist der hohe Fleischkonsum auch ein Grund für grassierende Zivilisationskrankheiten wie Fettsucht und Herz-Kreislauf-Versagen.

Für die Politik ist das Ganze jedoch ein zu heißes Eisen. Denn sobald sich Lebensmittel auch im Supermarkt ihrem echten Preis annähern, werden sie wieder zu einem „sozialen“ Produkt. Sozial schwächere Schichten könnten sich dann wahrscheinlich nicht mehr täglich Fleisch leisten. Wer fordert, die Förderungen zu senken, ist also politisch tot. Auch, wenn es richtig und sinnvoll ist.
„Verfüttert und vertankt“.

E-Mails an:jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2012)

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