Rettungspläne ohne Ende oder ein Ende ohne Rettung

Paris und Berlin verzetteln sich in Richtungskämpfen und bleiben dort schwach, wo sie selbst konsequent sein müssten. Der Euro ist rettbar, aber nicht so.

Wenn die Not groß ist, ziehen Brüssel und Frankreich einen schlauen Trick nach dem anderen aus dem Hut, sodass die Katastrophe im letzten Moment verhindert wird.“ Der niederländische Schriftsteller Geert Mak könnte die Euro-Rettungspolitik nicht treffender zusammenfassen. Seit mittlerweile vier Jahren gleicht sie einem Tempelhüpfen zwischen Klüften und Schluchten. Nie wird das stabile Pflaster erreicht, immer sind es nur Zwischenstationen, die gerade noch mit dem politisch machbaren Kompromiss, mit dem kleinstmöglichen finanziellen Aufwand erreicht werden. Kein großer Schritt, keine nachhaltige Lösung sind in Sicht.

Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der EU diese Woche erneut in Brüssel um eine Lösung für Griechenland und den Euro bemühen, wird das Tempelhüpfen fortgesetzt. Frankreichs Präsident François Hollande und Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble haben im Vorfeld den Rahmen so weit auseinandergestreckt, dass sich dazwischen kaum noch eine politische Grätsche ausgeht. Oder anders gesagt, sie bemühen sich mit relativ sinnlosen Maximalforderungen, die eigene Klientel warmzuhalten – nach dem Motto: „Ich habe es ja versucht!“ Der eine mit der neuerlichen Forderung nach Eurobonds und der Einflussnahme auf die Lohnpolitik anderer Länder, der andere mit der totalen Überwachung der Austeritätspolitik von Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien durch einen mächtigen Sparkommissar in Brüssel.

Der Richtungskampf bringt in Wirklichkeit nur eines: eine steigende Frustration in der Bevölkerung über die Unfähigkeit der europäischen Regierungen, eine gemeinsame Lösung auszuhandeln. Denn jetzt werden neben den nationalen auch noch die ideologischen Gräben tiefer ausgehoben. Wer sich vergegenwärtigt, dass neben diesen Auseinandersetzungen zwischen Paris und Berlin auch noch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy plötzlich ein eigenes Budget für Euroländer fordert und Großbritannien einen weiteren Teilrückzug aus gemeinsamen Politikfeldern vorbereitet, dem wird das Ausmaß der Malaise offenbar. Europa treibt auseinander, und die vermeintlichen Retter zerren, so kräftig sie können, in entgegengesetzte Richtungen.

Längst ist klar, dass ein einzelnes Rettungsinstrument nicht ausreicht. Der Euro braucht zwar tatsächlich ein politisches Fundamt, das künftiges Fehlverhalten verhindert. Er brauchte aber ebenso eine Tilgung der hohen Staatsschulden über realistisch finanzierbare Zinsen. Und er brauchte einen Wachstumsmasterplan, bei dem stimulierende Investitionen mit notwendigen Restrukturierungen einhergehen. Alle fordern derzeit von Athen ein konsequentes Verhalten. Aber diese Konsequenz fehlt in Frankreich, Deutschland und Österreich genauso. Keine Spur von tief gehenden Reformen der Pensionssysteme, keine Spur von Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen, die noch immer das größte Potenzial für Wachstum darstellen. Die Konsequenz fehlt auch bei der Kontrolle von Banken und Finanzmärkten, die sich zur treibenden Kraft der Krise entwickelt haben.

Der Euro ist rettbar, wenn sich die europäischen Regierungen statt mit Ideologien und Interessen mit ihrem eigenen Anteil an dieser Rettung beschäftigen. Wenn sie ehrlich zugeben, dass es ohne höhere Inflation, ohne Wohlstandseinbußen nicht gehen wird, ist ein großer Schritt getan. Sobald in Paris die Erkenntnis greift, dass Sparen unumgänglich ist und in Berlin erkannt wird, dass zu hartes Sparen allein die Krise nicht löst, wäre der Euro schon auf einem besseren Weg. Wenn endlich zugegeben würde, dass es sich ohne öffentlichen Schuldenschnitt nicht ausgehen wird, wäre sogar Griechenland wieder auf einem Hoffnungskurs.

Das Problem sind die Staats- und Regierungschefs der EU, die diese Woche erneut hinter verschlossenen Türen nach Trickkisten suchen, mit der sie den Schein der Schmerzlosigkeit wahren wollen. Sie erkennen nicht, dass es in der Bevölkerung längst die Erkenntnis gibt, dass diese Krise nicht ohne Verluste überwunden werden kann. Diese Menschen hängen nicht an Träumen, sondern an ihrem Arbeitsplatz.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2012)

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