USA, Europa, Datenschutz: Wer das Gold hat, macht die Regeln

Ein wenig Realismus täte den Europäern gut. Der von ihnen geliebte US-Präsident verdankt seine Wahlsiege der Internetwirtschaft. Diese stellt nun Rechnungen fällig.

Als am Abend des 4.November 2008 feststand, dass die Vereinigten Staaten erstmals einen Schwarzen als Präsidenten haben würden, klingelte es bei hunderttausenden Amerikanern in der Mailbox. Barack Obama höchstpersönlich dankte John und Linda und Jim und Lucy und all seinen anderen Unterstützern per E-Mail dafür, ihm moralisch und finanziell beigestanden zu haben. Und natürlich konnte man im Siegesrausch gleich per Mausklick ein paar weitere Dollar an myBarackObama.com überweisen.

Der Mann hinter der phänomenalen digitalen Wahlkampagne, die Wähler aktivierte, neue Zielgruppen messerscharf ermittelte und neue Themen schnell unter das Volk brachte, hieß Chris Hughes und war damals gerade einmal 24 Jahre alt. Als Mitgründer von Facebook war Hughes steinreich geworden und stand für das neue, aufstrebende Amerika der Internetgeneration. Der smarte junge Technokrat Obama wurde, umringt und beraten von noch mehr smarten jungen Technokraten, zum ersten Präsidenten, der die Spielregeln des digitalen Zeitalters meisterhaft beherrschte.


Das ist mehr als vier Jahre später noch immer so. Täglich schickt das Weiße Haus ein bewegendes, lustiges oder süßes Foto des Präsidenten oder seiner Familie per Twitter in die Welt; zuletzt eines, das ihn beim Tanz mit seiner strahlenden Ehefrau Michelle zeigt. Mehr als 27 Millionen Menschen folgen Obama auf Twitter: Solche Zahlen öffentlichen Interesses erreichen außer ihm nur Filmstars. Wenn Obama etwas Wichtiges zu verkünden hat, gibt er nicht ehrwürdigen Zeitungen wie der „New York Times“ oder „USA Today“ ein Interview. Nein, er lädt zum „Google+ Hangout“ ein, wo Bürger aus allen Ecken Amerikas eine Stunde lang allerhand Fragen stellen dürfen. Natürlich ist der Präsident stets charmant und humorvoll. Und natürlich sind alle „einfachen“ Bürger gezielt ausgewählte Unterstützer.

Facebook, Google und Twitter haben Obama aber auch finanziell bei seinen beiden Einzügen ins Weiße Haus unterstützt – nicht die Konzerne selbst, sondern deren Mitarbeiter. Im jüngsten Rennen ums Weiße Haus spendeten laut der US-Wahlbehörde 116Mitarbeiter von Twitter Geld an Obama, 447 von Facebook, 3612 von Google und gar 4598 von Microsoft. Jeder achte Dollar an Wahlkampfspenden, die Barack Obama erhielt, stammte aus Kalifornien. Dort liegt das Silicon Valley, die Wiege der globalen digitalen Revolution.


Darum sollte es niemanden überraschen, dass der Präsident diesen Unternehmen etwas schuldig ist. Das gezielte und exzellent vorbereitete Lobbying sowohl amerikanischer Regierungsstellen als auch privater Konzerne gegen eine Verschärfung der europäischen Datenschutzregeln ist eine logische Folge dessen, was der in Österreich ebenfalls oft missverstandene Frank Stronach vor Jahren in einen nur auf den ersten Blick empörenden Satz gefasst hat: „Wer das Gold hat, macht die Regeln.“

Das ist in Europa nicht anders und in Österreich schon gar nicht. Wer den Erfolg eines Politikers mit Geld oder Personal unterstützt, darf nach der Wahl mit Wünschen anklopfen. Glaubt etwa wirklich jemand, dass die Industriellenvereinigung oder große Banken keine detaillierten Änderungswünsche für Gesetze im Nationalrat deponieren? Oder dass die Arbeiterkammer beim Bundeskanzler auf verschlossene Türen stößt?

Zum Problem wird das, wenn Gesetzgebung zum Wunschkonzert wird. Mit der Unterstützung eines Kandidaten erkauft man sich sein offenes Ohr für Anliegen – aber nicht das Recht, ihm Gesetze zu diktieren.

Insofern ist der empörte Aufschrei einiger EU-Abgeordneter über das Lobbying der amerikanischen Handelskammer ebenso beruhigend wie grotesk. Beruhigend, weil diese Abgeordneten beweisen, dass man sich Gesetze in Europa nicht so einfach kaufen kann. Grotesk aber, weil dieselben Abgeordneten ihrem Parlament, das sie bei anderen Gelegenheiten gern als Trutzburg demokratischer Tugendhaftigkeit darstellen, offenbar nicht zutrauen, den Lobbyisten aus Übersee mit klarem Kopf und selbstbewusst entgegenzutreten.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2013)

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