Die manische Jagd auf Snowden und die Heuchelei Europas

Vier europäische Staaten sperrten auf Zuruf der USA ihren Luftraum, weil NSA-Enthüller Snowden in einem Flugzeug vermutet wurde. Dazu hatten sie kein Recht.

leitartikel

Die Jagd auf Edward Snowden nimmt von Tag zu Tag groteskere Züge an. In der Nacht auf Mittwoch musste das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten, Evo Morales, in Wien-Schwechat notlanden, weil die Amerikaner ihren derzeitigen Staatsfeind Nummer eins fälschlicherweise an Bord der Maschine vermutet hatten. Dem südamerikanischen Staatschef war es unmöglich gemacht worden weiterzufliegen. Spanien, Frankreich, Italien und Portugal hatten ihren Luftraum für das Flugzeug von Morales gesperrt. Dies bestätigte, wenngleich ohne Namen zu nennen, die Austro Control, die für die Überwachung des österreichischen Luftraums zuständig ist.

Offiziell äußerten sich die USA zunächst nicht zu dem peinlichen Vorfall. Doch es ist völlig klar: Die Amerikaner waren treibende Kraft hinter der Panikaktion. Darauf lässt auch ein Anruf des US-Botschafters William S. Eacho schließen, der mitten in der Nacht im Wiener Außenamt einging. Er wies in dem Telefonat recht eindringlich darauf hin, dass sich Snowden im Flugzeug des bolivianischen Präsidenten befinde. Die österreichischen Behörden mögen doch einmal nachsehen und Snowden dann ausliefern, bat der US-Diplomat und bot großzügig an, den amerikanischen Haftbefehl gegen den 30-Jährigen zu übermitteln, der die Welt seit Wochen mit Enthüllungen über die National Security Agency (NSA) in Atem hält.

Nachschau hat die Flughafenpolizei ja dann tatsächlich in der Falcon 900 von Evo Morales gehalten, nach Angaben der österreichischen Behörden sogar mit Einverständnis der Bolivianer, nur Snowden fanden sie nicht. Der bolivianische Präsident musste danach trotzdem noch ein paar Stunden auf einer Wartebank zubringen, weil die Spanier die Überfluggenehmigung nicht erteilen wollten oder konnten. Die spanische Regierung, die sich nach dem Eklat aufreizend unwissend stellte, hat einigen Erklärungsbedarf, doch nicht nur sie.

Das absurde Wiener Kammerstück um Snowden und Morales wirft einige Fragen auf: Wie ist es zum Beispiel möglich, dass mehrere europäische Staaten auf Zuruf der Amerikaner ihren Luftraum sperren, weil Snowden an Bord eines Flugzeuges vermutet wird? Dafür gab es keine rechtliche Handhabe. Gegen den ehemaligen NSA-Mitarbeiter liegt kein internationaler Haftbefehl vor.

Die dienstbare Eilfertigkeit Frankreichs, Spaniens, Italiens und Portugals entlarvt die lautstarke Empörung europäischer Staatskanzleien über die Abhörorgien der NSA als das, was sie ist: als Heuchelei. Man darf davon ausgehen, dass Europas Geheimdienste im Bild über die Machenschaften der NSA waren. Die USA weisen in ihren dürren Stellungnahmen auch offen darauf hin.

Mit der manischen Art, mit der die USA Snowden nachstellen, schaden sie sich vor allem selbst. Natürlich ist für die US-Behörden höchst unangenehm, was der Mann ausplaudert. Es ist sogar nachvollziehbar, dass sie ihn wie einen Verbrecher behandeln. Snowden hat Staatsgeheimnisse verraten und Staatsbesitz gestohlen. Dafür kann er nach amerikanischem Recht angeklagt und bestraft werden.

Doch den NSA-Enthüller zu jagen, als wäre er ein Terrorist, ein zweiter Osama bin Laden, ist schwer übertrieben. Was hat Snowden getan? Er hat keine Namen genannt, er hat kein einziges Leben gefährdet, keine Inhalte von NSA-Abhöraktionen preisgegeben. Snowden hat lediglich die Praktiken der NSA ans Licht gebracht. Und diese Methoden sind höchst fragwürdig. Es kann nicht angehen, dass eine weitgehend unkontrollierte Behördenkrake wie die NSA nach Gutdünken weltweit auf Daten und Telefonate von Bürgern zugreift. Die NSA zapft an, was sie kann. Das alles geschehe doch nur zum Schutz der Bürger im Antiterrorkampf, argumentiert die US-Regierung. Sorry, aber dieses Argument hätte auch einem wohlmeinenden Diktator einfallen können. Die gegenwärtige Generation nimmt besser nicht leichtfertig hin, dass unter ihren Augen gerade die Grundlage für den perfekten Überwachungsstaat gelegt wird. Darüber sollten wir eingehender reden als über die Fluchtrouten Snowdens und unfreiwilligen Flugpausen eines antiamerikanischen Präsidenten namens Morales. Was Snowden aufgedeckt hat, ist wichtiger als er selbst. SeiteN 1, 2, 3

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2013)

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