Putin und der Westen machen Russland größer, als es noch ist

Das russisch-amerikanische Verhältnis ist für die Welt relativ bedeutungslos geworden. Der Kalte Krieg kehrt nur noch als irreführende rhetorische Figur zurück.

Vom deutschen Ex-Kanzler Helmut Schmidt stammt das böse Bonmot, die Sowjetunion sei wie ein „Obervolta mit Atomraketen“. Gut, seither hat sich einiges geändert: Obervolta heißt Burkina Faso, und die Sowjetunion existiert nur noch in Geschichtsbüchern. Erstaunlich frisch gehalten hat sich jedoch über all die Jahre die weitverbreitete Grundbereitschaft, Russland größer zu machen, als es (ohnehin) ist, und zwar sowohl in Moskau selbst als auch im Westen. Jedes Mal, wenn es zwischen der amerikanischen und der russischen Regierung nicht so rund läuft, finden sich garantiert Alarmisten, die gleich hyperventilierend eine Rückkehr des Kalten Kriegs herbeischreiben. So wie jetzt, bloß weil US-Präsident Barack Obama ein Treffen mit dem russischen Staatsoberhaupt, Wladimir Putin, abgesagt hat.

In Wirklichkeit haben die russisch-amerikanischen Beziehungen seit dem Zusammenbruch des Kommunismus rasant an Relevanz verloren. Die bipolare Ära ist schon ein paar Jährchen vorbei, die Einflusssphäre des Kreml dramatisch geschrumpft. Im UN-Sicherheitsrat markiert Russland trotzdem noch gern die Weltmacht; die überholte Struktur des Gremiums erlaubt es. Und wenn es ihm ins Konzept passt, gibt Putin den internationalen Spielverderber, wie momentan in Syrien. Auch so kann man vorgeben, wichtig zu sein, und Jetons für einen späteren Tauschhandel sammeln. Seit mittlerweile mehr als zwei Jahren halten die Russen in der UNO ihre schützende Hand über Syriens Diktator, blockieren Resolutionen und Sanktionen. Doch mit ihrem regelmäßig anschwellenden außenpolitischen Getöse übertönen sie lediglich ihren Bedeutungsverlust.

Eine andere Macht hat Russland den Rang abgelaufen: China. Und nach diesem neuen Gravitätszentrum richten die USA auch die Vektoren ihrer Außenpolitik aus. Moskau spielt nur noch eine lärmende Nebenrolle.

Insofern lohnt auch ein Lautstärkevergleich im Fall Snowden. Sowohl China als auch Russland wollten den USA nicht den Gefallen tun und den Geheimnisverräter Edward Snowden ausliefern. Doch die Chinesen agierten um einiges geschickter und lautloser. Sie setzten den ehemaligen NSA-Mitarbeiter einfach in ein Flugzeug nach Moskau. Dort machte Putin eine große Snowden-Show daraus, um der Welt vor Augen zu führen, dass er, der große Kreml-Zampano, sich ganz sicher nicht dem Willen der Amerikaner beugt. Der Autokrat als großherziger Protektor des amerikanischen Aufdeckers – eine Farce. Doch der Kreml-Herrscher hat sicher seine Freude daran, und die Amerikaner spielen ihm mit ihrer obsessiven Jagd auf Snowden in die Hände.


Außer ein bisschen Lustgewinn für Putin bringt Snowden Russland jedoch hauptsächlich Zores. So hat Obama sein Rendezvous in Moskau abgesagt, weil der russische Präsident dem aktuellen US-Staatsfeind Nummer eins vorübergehend Asyl gewährt. Das freilich ist auch ein seltsamer Grund, um ein bilaterales Treffen dieser Rangordnung abzublasen. Es hätte andere, bessere Gründe gegeben, Putin die kalte Schulter zu zeigen: die systematische Repression von Regimegegnern in Russland zum Beispiel. Doch da zeigte der US-Präsident Langmut. Bei Snowden allerdings kennt er offensichtlich keinen Spaß mehr.

Obamas diesbezügliche Motivlage ist rein innenpolitisch motiviert. Der US-Demokrat will nicht schwach erscheinen, das ist seine größte Angst. Außenpolitisch gäbe es mit Putin schon ein paar sinnvolle Angelegenheiten zu besprechen: den bevorstehenden Nato-Abzug aus Afghanistan etwa oder den Atomstreit mit dem Iran oder die Syrien-Konferenz, die demnächst in Genf stattfinden soll. Ohne russische Zustimmung wird Barack Obama auch seine groß angekündigten Abrüstungspläne nicht umsetzen können. Bekanntlich haben die USA und Russland mehr als 20 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs immer noch jeweils rund 5000 Nuklearwaffen in ihren Arsenalen.

Dennoch zuckten die Verantwortlichen in Washington und Moskau mit den Schultern, als Obama die Zusammenkunft mit Putin aus seinem Terminkalender strich. Im Jahr 2013 dreht sich die Welt auch ohne einen gemeinsamen Fototermin der beiden Herren weiter. Und wirtschaftlich war das russisch-amerikanische Verhältnis schon immer irrelevant – für beide Seiten.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2013)

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