Der Papst ist weg – die Ignoranz bleibt

Mit drei großen Reden hat Benedikt XVI. Marksteine gesetzt. Es muss bezweifelt werden, dass er gehört wurde.

Es waren zwei Begebenheiten während des dreitägigen Österreich-Aufenthalts von Papst Benedikt XVI., die wie sonst nichts die Situation der katholischen Kirche in der europäischen Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts im wahrsten Sinn augenscheinlich werden ließen. Einmal, als am ersten Tag bei der Begegnung mit den Wienern Am Hof wegen des unaufhörlichen Regens plötzlich im ersten Teil der Rede des Papstes der elektrische Strom ausfiel. Die Ansprache musste unvollendet bleiben. Der Nachfolger Petri konnte sich nicht mehr Gehör verschaffen. Genauso wie es ihm in vielen Belangen bei der Mehrheit der Katholiken geht. Sie wollen oder können ihn nicht mehr verstehen.

Auch wenn die Technik nicht versagt wie bei der in ihrer Klarheit und Strenge beeindruckenden Rede Benedikts in der Hofburg, kann einiges schief gehen. Da spricht der Papst wahrlich nicht zum ersten (und sicher auch nicht zum letzten) Mal eines der weltweiten großen Konfliktthemen im Verhältnis zwischen Kirche und Politik an, die Abtreibung. Er erinnert, dass in Europa der Begriff der Menschenrechte zuerst formuliert wurde. Und er bekräftigt die fundamentale Bedeutung des Rechts auf das Leben – vom Beginn bis zum Ende. So weit so unspektakulär, weil keinen Deut außerhalb des bisherigen, eng gezogenen Kordons lehramtlicher Aussagen der katholischen Kirche. Die, nebenbei bemerkt, selbst von den kircheninternen Kritikern an Sexualmoral, Zölibat & Co. weitgehend geteilt werden.

Aber dann ein Satz, der sich im Redemanuskript des Papstes über schlanke drei Zeilen erstreckt – was dann doch die Auffassungsgabe vieler übersteigt. BenediktXVI. direkt zu den erste Reihe fußfrei vor ihm sitzenden Regierungsmitgliedern im O-Ton: „Ich appelliere deshalb an die politisch Verantwortlichen, nicht zuzulassen, dass Kinder zu einem Krankheitsfall gemacht werden und dass die in Ihrer Rechtsordnung festgelegte Qualifizierung der Abtreibung als ein Unrecht nicht faktisch aufgehoben wird.“

Die wenig später in die Welt gesetzte überraschende Nachrichtenagentur-Schlagzeile gleichfalls im O-Ton: „Benedikt fordert von Politik Abtreibungsverbot.“ Wie auf Knopfdruck folgten zwischen Hysterie und Erregung angesiedelte Politiker-Enunziationen. Es hat offenbar nicht viel gefehlt, und ein parteipolitischer Funktionär hätte in der Hofburg Tür-knallend aus Protest den Saal verlassen. Der Pressesprecher des Papstes, dann von Kardinal Schönborn und schließlich der Wiener Erzbischof selbst mussten ausrücken, um die Berichte zurechtzurücken. Und darauf hinzuweisen, dass der Papst zwar ausdrücklich Abtreibung nicht nur als kein Menschenrecht sondern als das Gegenteil davon bezeichnet – mit keinem Wort aber das Aus für die Fristenregelung gefordert hatte.

Selten wurde offenbar, wie mechanisch, hohl, geistlos und abseits jeder Realität manchmal die sogenannte politische Debatte funktioniert. Euphemistisch gesagt: Wie sehr die Fähigkeit zur selektiven Wahrnehmung perfektioniert wurde. Deutlicher formuliert: Wie groß die Ignoranz und Intoleranz gegenüber allem ist, was dem Mainstream widerspricht. Wie gering das Unvermögen, zu hören, hinzuhören geworden ist.

Könnte es womöglich gar sein, dass sich weniger die katholische Kirche in einer Krise befindet als die heutige Gesellschaft insgesamt? Dass die langen Kolonnen von Minus-Zahlen in einschlägigen Kirchen-Statistiken auch als eine vielleicht schmerzhafte, aber insgesamt hilfreiche Abkehr von Quantität in Richtung Qualität zu lesen sind? Wenn das über Jahrhunderte christlich geprägte und sozialisierte Europa schon die Botschaft des Christentums so gar nicht mehr zu verstehen imstande ist, wie viel größer muss da das Nicht-Verstehen anderer Religionen wie beispielsweise des Islam sein?

Der Papst ist also seit gestern Abend zurück im Vatikan. Die 56 1/2 Stunden waren geprägt von vielen großen und kleinen Gesten, von der merkbaren Zuneigung dieses Papstes für Österreich und vor allem von seinem festen Willen, der kleiner gewordenen Herde Stärkung und Orientierung zu geben – und von großen Missverständnissen. Die katholische Kirche als mittlerweile manchmal völlig allein gelassener Verteidiger humanitärer und europäischer Werte wird ob ihres Einsatzes nicht nur nicht mehr gewürdigt, sondern auch bei noch so großem Bemühen der Amtsträger auch kaum verstanden. Man darf um die Zukunft des Kontinents getrost besorgt sein.

Berichte, Analysen, Zitate, Reportagen S. 1-4
TV-Kritik Seite Seite 15


dietmar.neuwirth@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2007)

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