Prölls Visitenkarte als aufgeklärter Bürgerlicher

Das „Perspektiven“-Papier ist eine positive Überraschung: Liberal, ohne auf konservative Wurzeln zu vergessen.

Der Weg war beschwerlich und man konnte sich oft des Gefühls nicht erwehren, dass er die Partei und den Reformdenker Josef Pröll beschädigen wird. Verrückt, sich als Regierungspartei in quälende Richtungsdiskussionen zu verstricken! Angesichts des der „Presse“ vorliegenden End-Papiers kann aber festgestellt werden: Es war doch richtig – und Pröll hat professionelle Arbeit geleistet.

Zwischen den Zeilen ist es deutlich herauszulesen: Die Partei hat sich mit diesen neuen Leitlinien (die Parteichef Molterer heute, Montagabend, offiziell übergeben werden) vom bisherigen „Übervater“ Wolfgang Schüssel deutlich emanzipiert. Die ÖVP kehrt zu ihrem Ziel der „ökosozialen Marktwirtschaft“ zurück und vertritt explizit nicht die (im Text auch so bezeichnete) „neoliberale“ Position, dass Markt und Wettbewerb schon alles regeln werden. „Es geht nicht nur um wirtschaftliche Erfolgsbilanzen. Es geht um politische und gesellschaftliche Verantwortung“, steht da unter der Überschrift „Wir haben verstanden“. Unausgesprochen heißt das: Man zieht endlich Schlüsse aus der unerwarteten Wahlniederlage vor einem Jahr, die letztlich ja trotzdem einer Logik folgte. Die ÖVP verlor das Vertrauen der Wähler, weil sie auf deren Gefühle vergessen hatte, kalt und arrogant wirkte. Dass es wiederum in dieser Regierung um mehr gehen muss als bloß um das von der ÖVP viel beschworene „Bewahren“ des Erreichten hat zumindest der „Perspektiven“-Chef erkannt. Spannend wird sein, ob ihm die Partei folgt.

Pröll verpasst der ÖVP nun ein menschlicheres und liberaleres Antlitz, nicht ohne auch konservative Signale auszusenden, wenn er etwa die Abtreibung thematisiert, mit der man sich nicht so einfach abfinden könne. Mehr Beratung und Ursachenforschung – aber die Rechtslage soll nicht verändert werden. Spannend ist das „Familiensplitting“: Diese – übrigens hochvernünftige – steuerliche Berücksichtigung, wie viele Köpfe von einem Einkommen leben müssen, nützt (wie in Frankreich) Mehrkinderfamilien – kostet den Staat aber natürlich Geld. Noch nicht geklärt ist, ob das leistbar ist. Ebenfalls interessant: die Forderung nach einem neuen „Leitbild vom Altern“, um der zunehmenden Diskriminierung Älterer entgegenzutreten.

Auch wenn sie nicht mehr so bezeichnet wird: Die „Bürgergesellschaft“ von Andreas Khol lässt grüßen. Ehrenamtlichkeit wird noch immer groß geschrieben, genauso wie der eigenverantwortliche Bürger.

In manchen Punkten ist die Partei endlich im 21. Jahrhundert angekommen: Frauenerwerbstätigkeit ist erwünscht und notwendig – das zieht sich wie ein roter Faden gleich durch mehrere Kapitel. Weil man es den eigenen Funktionären immer und immer wieder erklären muss?

Ein noch höherer Sprung über den alten konservativen Schatten ist das Partnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Paare. Sicher ein Affront für gestandene Bürgerliche. Denn so wie es dasteht, zieht das auch sozialrechtliche Ansprüche, etwa eine Witwenpension, nach sich.

Das einzige Kapitel, das noch nicht ganz abgeschlossen sein dürfte, ist die Schulpolitik – auch wenn es eine Vielzahl an sehr konkreten und schlüssigen Elementen enthält: höhere Schulautonomie, mehr Bildungsstandards, mehr Fördermöglichkeiten zum Beispiel. Die Gesamtschule wird klar abgelehnt, stattdessen eine Aufwertung der Hauptschulen und ein „Schutz der Gymnasien“ gefordert. Immerhin hatten aber bereits Wirtschaft und Industrie gemeint, dass eine Gesamtschule „kein Tabu“ für sie sei. Doch für Parteichef Wilhelm Molterer kam das nie in Frage. Es war wohl taktisch klug von Pröll, ihm hier nicht in den Rücken zu fallen und einen nicht auflösbaren Widerspruch zu schaffen. Wahrscheinlich tut auch die steirische ÖVP gut daran, im Sinne des Ganzen diese Position jetzt einmal so zur Kenntnis zu nehmen. Immerhin konnte sich der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl mit einem fremdenrechtlichen Vorschlag durchsetzen: Ehepartner von Ausländern sollen Arbeitserlaubnis haben. Nicht geklärt wird, wie Scheinehen verhindert werden. Das Thema Ausländerpolitik kommt insgesamt vernünftigerweise ganz ohne schrille Töne aus: Man würde sich wünschen, dass das auch in der Tagespolitik so wäre.

Prölls Parteireformarbeit ist beendet. Er hat – obwohl aus ländlicher Umgebung stammend – eine Visitenkarte als urbaner, aufgeschlossener Bürgerlicher abgegeben. Gut möglich, dass er sich damit auch für höhere Weihen empfohlen hat.

ÖVP-Perspektivenpapier Seiten 1 - 3


martina.salomon@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2007)

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