Die Kränkung der Kränkungen

Charles Darwin, der am Donnerstag 200. Geburtstag hätte, hat die Welt verändert wie kein anderer Forscher.

Vor 150 Jahren hob ein von Magenschmerzen und Hypochondrie geplagter 50-jähriger britischer Privatgelehrter, der sich nach einem Studium der Theologie, autodidaktischer Aneignung der Geologie/Biologie und einer Weltreise in ein Kaff bei London zurückgezogen hatte und dort Muscheln sezierte und Tauben züchtete, die Welt aus den Angeln. Doch, so pathetisch darf man es schon angehen zum 200. von Charles Darwin: Keine andere wissenschaftliche Revolution hat Nachbeben wie seine; keine andere Kränkung, die die Menschheit sich zugefügt hat, sitzt so tief.

Kopernikus/Galilei hatten sie aus dem Zentrum des Universums verbannt, Darwin aus dem der Schöpfung, Freud zeigte uns, dass wir nicht einmal Herren im eigenen Haus sind. Aber das beunruhigt uns nicht weiter, und mit Kopernikus/Galilei hat selbst Rom seinen Frieden gemacht.

Mit Darwin nicht. Dabei geht es natürlich um Wahrheit und ebenso natürlich um Macht – die Autorität der Institution Kirche hängt an der des Schöpfers –, aber das ist nur der äußerliche Aspekt. Macht kann ja nur wirksam werden, wenn ihre Botschaft auf fruchtbaren Boden fällt. Der ist da, ein Fünftel der Österreicher nimmt die Bibel wörtlich, ein weiteres Fünftel glaubt an irgendein Mitwirken Gottes bei der Entwicklung des Lebens. Ihnen stehen ebenso viele, 41Prozent, gegenüber, die sich auf die Seite Darwins schlagen und eine Evolution ohne Gott für wahr halten. (Die absoluten Zahlen schwanken von Umfrage zu Umfrage; das Verhältnis bleibt in der Waage.)


Entsprechende Umfragen zu Kopernikus/Galilei gibt es nicht, sie würden eher Heiterkeit erregen: Kein Mensch bezweifelt, dass die Erde sich um die Sonne dreht (und um sich selbst). Umgekehrt versteht sich für jeden von selbst, dass die Sonne auf- und untergeht, nicht einmal ein Hardcore-Astronom würde seine Freundin belehren wollen. Dieser Widerspruch zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiver Himmelsmechanik liegt offen zutage, er bereitet uns kein Kopfzerbrechen.

Aber vom Affen abstammen wollen wir nicht, wenigstens viele wollen es nicht. „Schrecklich“ sei dieses Lebewesen, notierte Queen Victoria, als sie 1839 einen Orang-Utan im Zoo sah, „schrecklich“, weil: „schmerzhaft und widerwärtig menschlich“. Der Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass man den Orang in Menschenkleider gesteckt hatte. Aber auch in ihrem eigenen Fell sind sie uns so ähnlich, dass wir sie lieber auf Distanz halten, mit zahllosen Definitionen unserer Sonderstellung, vom „Homo sapiens“ bis zum „Homo faber“. Aber die Wälle erodierten: Affen (und andere Tiere) benutzen Werkzeuge, viele leben in komplexen sozialen Welten, viele sind klug, helfen ihren Artgenossen, betrügen sie, schlagen sie gar tot, ganz ohne Grund, wie sonst nur wir: Gangs junger Schimpansen machen Jagd auf Nachbarn.

Immerhin: Echte Kriege führen nur wir. Und Symphonien schreiben und Bücher – und Leitartikel –, das tun auch nur wir, die hohe Kultur bleibt uns. Aber die Übergänge fließen, Vögel musizieren auch nicht übel. Und wenn die anderen in der Evolution nicht vorgearbeitet hätten, hätten wir nicht ihr Erbe antreten und verfeinern können, ohne sie wären wir nicht(s), vom ersten Bakterium angefangen bis zum Cousin Schimpanse. Das haben sie uns zu sagen.


Mehr nicht, darin liegt das zweite Problem, sie können uns nicht darüber belehren, warum und wozu wir leben und wie wir leben sollen, die Evolution wirft weder Sinn noch Ethik ab. Auf die müssen wir selbst kommen, allein, jeder für sich. Entlastung bieten Deutungssysteme mit Schöpfergöttern, in denen wir uns spiegeln und an denen wir uns orientieren können. Und zwar verlässlich, die Glaubenswahrheit ist absolut und muss es sein, anders als die der Wissenschaft, die prinzipiell für Änderungen offen ist, also auch in ihrer Form keinen Halt bietet.

Hineinzureden haben die beiden Wahrheiten einander nicht, Darwin wäre in der Religionsstunde so fehl am Platz wie Schöpfung oder „Design“ im Biologieunterricht. Aber vielleicht können sie (bei Bedarf) koexistieren, ähnlich wie beim Sonnenaufgang: Auch Darwin sah den Orang im Zoo – in jungen Jahren, noch fromm –, er gewann ihm anderes ab: „Lasst die Menschen den Orang-Utan besuchen, seine Intelligenz sehen. Der Mensch in seiner Arroganz hält sich selbst für ein großes Werk, das des Eingriffs einer Gottheit wert ist. Es ist aber demütiger und hat, wie ich glaube, auch mehr Wahrheit, ihn als Abkömmling von Tieren zu betrachten.“ Congratulations, Darwin!

Abstammung des Menschen Seite 23
Gespräch mit Anton Zeilinger Seite 25


juergen.langenbach@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2009)

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