Per kollektivem Mindestlohn in die Arbeitslosigkeit

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Die richtige Lohnhöhe hängt nicht nur vom konkreten Job, sondern auch von der Situation der Firma ab. Kollektivistische Experimente sind keine gute Idee.

Lang hat es nicht gedauert, bis die Gewerkschaft den zugespielten Ball aufgenommen hat. Vor etwas mehr als einer Woche meinte Finanzminister Hans Jörg Schelling, dass „Arbeitsloseneinkommen“ (gemeint war die Mindestsicherung) hierzulande fast so hoch seien wie viele Arbeitseinkommen, was dazu führe, dass Unternehmen keine Arbeitskräfte für offene Jobs finden würden. Wolfgang Katzian, Privatangestellten-Chef, hat für dieses Problem nun eine einfache Lösung: Man brauche nur den kollektivvertraglichen Mindestlohn in allen Branchen auf 1700 Euro brutto anzuheben. Dann sei die Differenz zwischen staatlicher Hilfe und Arbeitseinkommen wieder hoch genug, sodass alle offenen Stellen leicht besetzt werden können, so die gewerkschaftliche Logik.

Leider vergisst diese Logik ein nicht unwesentliches Detail des Arbeitsmarkts. Und zwar jenes, dass es sich dabei eben um einen Markt handelt, bei dem Preis, Angebot und Nachfrage sich gegenseitig beeinflussen. Je mehr Angebot (potenzielle Arbeitnehmer, die einen bestimmten Job erledigen können) es im Verhältnis zur Nachfrage (offene Stellen für die entsprechenden Qualifikationen) gibt, desto geringer ist der Preis (der Lohn). Das erklärt auch, warum einfach zu erlernende Jobs an der Supermarktkassa oder auf dem Bau– trotz eventuell höherer körperlicher Belastung – eben schlechter bezahlt sind als komplexe Bürojobs, für die es einfach weniger Menschen mit entsprechender Ausbildung gibt (hinzu kommt als zweiter Faktor dann noch die Wertschöpfung des einzelnen Arbeitsplatzes).


Greift nun der Staat in dieses Gleichgewicht ein, etwa, indem er den Preis künstlich erhöht (also Mindestlöhne einführt), kann das dazu führen, dass die Nachfrage zurückgeht – jene Jobs, bei denen die Wertschöpfung unter dem Lohnniveau liegt, gibt es dann einfach nicht mehr. Ob und wie stark dieser Effekt eintritt, hängt bei jedem einzelnen Arbeitsplatz von der Höhe des Mindestlohns und dem Verhältnis zum bestehenden Lohnniveau und der individuellen Wertschöpfung ab.

Das erklärt auch, warum Studien aus anderen europäischen Ländern dazu kein einheitliches Bild liefern. Während eine Reihe von Untersuchungen in Frankreich einen direkten Zusammenhang zwischen der hohen Jugendarbeitslosigkeit und dem im Verhältnis zum Durchschnittsgehalt hohen Mindestlohn sieht, hat der im Vergleich zu den durchschnittlichen britischen Einkünften relativ niedrige Mindestlohn in Großbritannien nach seiner Einführung im Jahr 1999 zu keinem großen Verlust von Arbeitsplätzen geführt.

In Österreich wäre der Mindestlohn mit 1700 Euro brutto im Verhältnis zum Durchschnittsgehalt noch höher als in Frankreich. Würde es dadurch also zu einer großflächigen Vernichtung von Jobs kommen? Konkret können die Ökonomen diese Frage nicht beantworten. Wolfgang Katzian kann es auch nicht.


Die plumpe Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestlöhne in allen Branchen ohne Rücksicht auf die individuellen Voraussetzungen wäre daher ein gefährliches Spiel mit der Arbeitslosigkeit. Daran ändert auch nichts, dass die Umsetzung ähnlicher Forderungen in der Vergangenheit – etwa 1000 Euro im Jahr 2009 – problemlos über die Bühne gegangen sind. Entscheidend ist ja jene unbekannte Lohnhöhe, bei der die individuelle Wertschöpfung übertroffen wird.

Die Lohnfindung sollte stattdessen lieber stärker auf die einzelnen Branchen und Unternehmen heruntergebrochen werden. Bei einer erfolgreichen Firma gibt es einfach mehr zu verteilen als bei einem Unternehmen, das ständig an der Insolvenz entlangschrammt. Mehr Flexibilität der Gewerkschaft bei diesem Thema könnte wirklich neue Jobs schaffen. Damit die Arbeitnehmer dabei nicht durch die Finger schauen, könnten ihre Vertreter ja am Thema „Mehr netto vom Brutto“ dranbleiben. Denn entscheidend für die Menschen ist ja nicht, was irgendwo auf dem Lohnzettel steht, sondern was schlussendlich auf das Konto überwiesen wird. Und bei einem Einkommen von 1700 Euro brutto landen auch nach der Steuerreform immer noch 41 Prozent der gesamten Arbeitskosten (inklusive Arbeitgeberbeiträge) beim Staat.

E-Mails an:jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2015)

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