Das Grundeinkommen bleibt nach dem Schweizer Nein auf dem Tisch

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Schweizer haben das bedingungslose Grundeinkommen abgeschmettert. Gut so. Aber das Thema wird uns angesichts Industrie 4.0 erhalten bleiben.

Die Schweizer haben das bedingungslose Grundeinkommen in einer Volksabstimmung, wie nicht anders zu erwarten, überzeugend abgeschmettert. Und das ist gut so, denn die Umsetzungspläne für die Idee waren, besonders was die Finanzierbarkeit betrifft, reichlich unausgegoren, teilweise abstrus.

Das Thema wird uns aber in allen Industriestaaten mit Sicherheit und mit wachsender Intensität erhalten bleiben. Wenn die Prognosen für die Digitalisierung von Industrie und Dienstleistungen (Industrie 4.0) auch nur einigermaßen eintreffen, dann wird nämlich die gewohnte menschliche Erwerbsarbeit mittelfristig weitgehend verschwinden beziehungsweise von Maschinen übernommen werden. In diesem Fall ist unser derzeitiges gesellschaftliches Organisationsmodell am Ende.

Dann droht auf der einen Seite Massenarbeitslosigkeit und als Konsequenz daraus auf der anderen Seite Unfinanzierbarkeit von Staaten und deren Sozialsystemen, die derzeit ja in sehr hohem Ausmaß an der Besteuerung und Abgabenbelastung von (weniger werdender) menschlicher Arbeit hängen.

Man wird dann also entweder in Massenverelendung à la frühindustriellem Zeitalter zurückfallen, oder man wird bis dahin vernünftige Modelle für einen Umbau der (Sozial-)Staatsfinanzierung auf andere Bemessungsgrundlagen (Wertschöpfung und Mehrwertsteuer sind da unter Ökonomen heiße Favoriten) und für eine derzeit noch schwer vorstellbare, zumindest teilweise Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Einkommen finden müssen. Das derzeitige, im Prinzip aus dem 19. Jahrhundert stammende Organisationsmodell samt dessen Finanzierung ist mit Industrie 4.0 jedenfalls nicht kompatibel. Da hilft auch kein Update.

Unglücklicherweise ist ein solches schlüssiges Modell noch nirgends zu sehen. Aber wir haben ja noch ein bisschen Zeit, die sollte man aber wirklich nutzen.

Zuerst muss es einmal eine Entideologisierung der Diskussion geben. Grundeinkommen ist ja kein Gedankenkonstrukt der äußersten Linken, sondern längst schlichte Realität: Mindestsicherung, Kinderbeihilfe und alle übrigen Sozialtransfers (die übrigens bei jedem Grundeinkommen wegfallen beziehungsweise eingerechnet würden) sind de facto solche Grundeinkommen. Nur bedingungslos sind sie eben nicht.


Fest steht aber, dass eine Grundeinkommensidee wie in der Schweiz, die einfach auf ein bestehendes System, das auf Finanzierung über Arbeitskosten und enger Verzahnung von Erwerbsarbeit und Einkommen draufgepappt wird, nicht funktionieren kann.

Am Beispiel der Schweizer Initiative: Wenn Erwerbseinkommen dem Grundeinkommen gegengerechnet werden, dann ergibt es für sehr viele zum Kollektivvertrag entlohnte Arbeitnehmer einfach keinen Sinn mehr, einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen. Wieso sollte der Bäckergeselle für ein paar Euro im Monat jeden Tag um zwei Uhr morgens aufstehen und wieso sollte jemand unangenehme Arbeiten wie WC-Putzen erledigen, wenn es dasselbe Geld auch ohne gibt? Um das System aufrechtzuerhalten, müssten die Löhne im unteren Bereich in diesem Fall also sehr stark angehoben werden. Die folgende Lohn-Preis-Spirale hätte das Grundeinkommen sehr schnell radikal entwertet.

Das blenden die meisten Grundeinkommensmodelle ebenso elegant aus wie die beträchtliche Finanzierungslücke, die trotz der Einberechnung aller Sozialtransfers zu füllen wäre. In der Schweiz waren im Vorfeld beispielsweise eine Mehrwertsteuererhöhung um acht Prozentpunkte beziehungsweise eine Transaktionssteuer auf den Hochfrequenzaktienhandel (der in dieser Sekunde wohl aus der Schweiz verschwunden wäre) genannt worden.

Anders gesagt: Die derzeit auf dem Tisch liegenden Grundeinkommensmodelle sind unausgegoren, haben Finanzierungslücken und lassen sich den bestehenden Arbeits- und Steuermodellen nicht einfach überstülpen. Sie sind also unrealistisch. Aber mit dem Thema werden wir uns grundsätzlich bald beschäftigen müssen. Und zwar intensiv.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2016)

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