Wiederschauen im Regierungskindergarten

Wolfgang Sobotka
Wolfgang SobotkaAPA/HELMUT FOHRINGER
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Die 2017er-Wahlen werden klären, in welche Richtung es geht. Auch in Österreich sollte entschieden werden, ob die EU, wie wir sie kennen, endet.

Aus dem Tagebuch der österreichischen Regierung: „Im Sommer sagte der Kanzler einmal zu mir: ,Wir sind ja nicht in einem Kindergarten, ich stehe jetzt auf.‘ Da habe ich gesagt: ,Ich bin hier nicht im Kindergarten, ich bin Mitglied der österreichischen Bundesregierung. Wiederschauen.‘ Ich lasse mich nicht beleidigen. Ich bin ja 61 Jahre alt und kein Rotzbub. Das muss jeder zur Kenntnis nehmen, ich lass mir das von niemandem bieten. Das gilt auch für den Kanzler. Er kommt halt von außen und muss die unterschiedlichen Facetten der politischen Arbeit erst kennenlernen. [. . .] Das ist kein Vorwurf, er war in einem Staatsbetrieb und musste sich auf der großen politischen Bühne nicht beweisen.“

Also sprach Innenminister Wolfgang Sobotka in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ über eine Begegnung mit Bundeskanzler Christian Kern. Dessen Version dieser Wiederschauen-Szene kennen wir noch nicht. Aber dem Vernehmen nach hat Kern Sobotka schon einmal beim Verfassen eines SMS an Erwin Pröll über die Schulter geschaut.

Im Kindergarten gibt es Pädagogen. In der Regierung den Lehrer Sobotka.


Aus dem Tagebuch der europäischen Regierungschefs: Beim EU-Frühlingsgipfel wählten bis auf eine Ausnahme alle Staaten den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk wieder. Nur Polen stimmte gegen den Polen. „Es ist sehr schlecht, dass ein Politiker gewählt wurde, der gegen jegliche Regeln verstoßen hat, die bisher in der Europäischen Union galten – vor allem das Prinzip der Neutralität.“

Also sprach der Chef der polnischen Regierungspartei, Jarosław Kaczyński. Dessen Regierung verhinderte das übliche Abschlussdokument, das Einstimmigkeit erfordert.

Im Kindergarten gibt es bei Bedarf Mediatoren. In der EU polnische Blockade.

Was diese beiden Episoden zeigen und belegen: 2017 müssen auf europäischer und österreichischer Ebene entscheidende Fragen geklärt und beantwortet werden. Wohin gehen Union und Land? Wer unterstützt die Weiterentwicklung der Union, welches Land will wieder deutlich mehr Nationalstaatlichkeit? Soll es eine Europäische Union mit zwei Geschwindigkeiten geben? Und wenn tatsächlich ein Kerneuropa entsteht, das Harmonisierung, (teure) Solidarität und gemeinsame Sicherheitspolitik als Notwendigkeit sieht, wird es besser erklärt und kommuniziert werden müssen. (Regionale Fouls gegen bestimmte Kandidaten aus dem eigenen Land für EU-Jobs kennen wir übrigens auch aus Österreich.) Ob diese Entwicklungen in diesem Jahr ernsthaft beschlossen und eingeleitet werden, hängt von mehreren Wahlen ab, die das Attribut „historisch“ ausnahmsweise wirklich verdienen.

In den Niederlanden könnte mit Geert Wilders einer der professionellsten Rechtspopulisten des Kontinents übernehmen, ihm könnte in Frankreich Marine Le Pen auch dank der Schwäche der Konservativen folgen. Beide zusammen stellen die EU in ihrer bisherigen Form infrage und dürften, wie wir in England erleben mussten, dieser Fragestellung Taten folgen lassen. Es geht nicht mehr nur um Symbolik, sondern auch um das Ende der Union, wie wir sie kennen. Andererseits rütteln – auch durchaus populistisch – Sozialdemokraten an einem Erfolg Europas: Die SPD will die Aufhebung richtiger Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt und in der Sozialpolitik, die einst mit Gerhard Schröder ein Sozialdemokrat erfunden hat und die geholfen haben, Deutschland an die Spitze der wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb der EU zu bringen. Fällt Hartz IV, fällt der Platz. Im Bestreben, Wahlen zu gewinnen, werden Vernunft und Logik als Erste über Bord geworfen.

Das kennen wir aus Österreich und vom (manchmal sogar gut begründeten) Rütteln an Regeln in der EU (Freizügigkeit, gleiche Sozialstandards für alle, Finanzhilfen etc.), nur, dass es hier nicht um Wahlen, sondern um Umfragen geht. Daher wäre es das Ehrlichste und Klügste, wenn 2017 auch Österreich entscheidet, wie es weitergeht. Mit welchen Parteien, mit welchen Konzepten und vor allem: mit welchen Zugängen zu Europa, mit welcher Organisation von Sozial- und Finanzpolitik. Auch (rechts-)populistisch? Oder ganz anders?

Diese Fragen werden aber nur bei Wahlen entschieden.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2017)

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