Leitartikel

Im Finanzsystem liegen noch zu viele Brandbeschleuniger herum

Janet Yellen
Janet YellenREUTERS
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Die große Finanzkrise ist zwar halbwegs bewältigt, aber Politik und Finanzsystem haben zu wenig Lehren daraus gezogen. Das System bleibt instabil.

„Wir werden zu unseren Lebzeiten keine Finanzkrise mehr erleben“, sagte die US-Notenbankchefin Janet Yellen vor nicht allzu langer Zeit in Bezug auf die Reparaturarbeiten, die Staaten und Notenbanken am Finanzsystem in den zehn Jahren seit Ausbruch der großen globalen Finanzkrise unternommen hatten. Ist das realistisch?

Sagen wir so: Wenn die jetzt 71-jährige Yellen das „Wir“ auf sich bezogen hat, dann könnte sich das in Hinblick auf ihre statistische Restlebenserwartung knapp ausgehen. Für den größeren Teil der Weltbevölkerung aber eher nicht. Denn Krisen sind in einer zyklischen Wirtschaft systemimmanent. Die nächste kommt also so sicher wie die nächste Zinserhöhung der Fed. Die Frage ist nur, wann.

Wenn also Lehren aus der (nach zehn Jahren immer noch nicht vollständig bewältigten) jüngsten großen Krise gezogen werden sollten, dann wohl die, wie man die unvermeidliche nächste Krise so managen kann, dass sie begrenzt bleibt und nicht die gesamte Weltwirtschaft nah an den Abgrund bringt. Der eigentliche Auslöser dieser Krise, die amerikanische Subprime-Krise, war ja ursprünglich ein eher lokal begrenztes Ereignis.

Dass daraus dann in einer Art Dominoeffekt eine weltweite Bankenexistenzkrise wurde, die sich später auch noch zu einer beispiellosen Staatsschuldenkrise ausweitete, hatte ganz bestimmte Gründe: Intransparenz bei der Verbriefung und Weiterverscherbelung amerikanischer Hauskredite, ein zu hoch „gehebeltes“ Bankensystem, ein weitgehend unreguliertes Schattenbankensystem riesigen Ausmaßes, fehlendes Risikobewusstsein und ein „Too big to fail“-Status der wackelnden Großbanken, der aus einer Bankenkrise schließlich auch noch eine Staatsschuldenkrise machte (wenngleich die Staatsschulden schon vorher zu stark entgleist waren).

All diese Brandbeschleuniger, die aus einem regionalen US-Problem (zu hohe Kredite an nicht kreditwürdige Hauskäufer) eine Existenzkrise für das globale Finanzsystem gemacht haben, sind bekannt und analysiert. Erkannte Probleme lassen sich beseitigen, möchte man meinen. Aber ist das auch geschehen?

Leider nein beziehungsweise nur in einem viel zu geringen Ausmaß. Strengere Eigenkapitalvorschriften haben das Bankensystem eine Spur stabiler gemacht. Aber eben nur eine Spur. Noch immer befinden sich (vor allem in Europa) viel zu große Mengen an faulen Krediten im System, noch immer ist das „Too big to fail“-Problem bei den Großbanken ungelöst. Der systemgefährdende unregulierte Schattenbankensektor ist sogar größer als vor dem Ausbruch der Krise. Geschäftsbanken sind jetzt zwar stark reguliert, aber ironischerweise nur dort, wo es ihren eigentlichen Geschäftszweck, die Geldversorgung der Wirtschaft, behindert. Von Entwarnung also keine Spur.


Im Gegenteil: Die in der Krise alternativlosen Notmedikamente Zinssenkung und Geldpolitiklockerung, die als Akutmedizin sehr gut gewirkt haben, beginnen jetzt, zum Problem für sich zu werden, weil die großen Notenbanken, vor allem die EZB, den Ausstieg nicht so recht schaffen. Die Lage der Weltwirtschaft ähnelt der eines Drogenkranken, bei dem mit immer höheren Drogendosen Symptombekämpfung betrieben wird.

Zu einer echten Therapie, die für halbherzig sanierte Banken und reformfaule Staaten schmerzhaft wäre, hat man sich noch nicht aufraffen können. Wie denn auch, bei der starken Verflechtung und der gegenseitigen Abhängigkeit von Politik und Banken?

Aber hat sich nicht die Wirtschaft erholt, stehen nicht die Börsen auf Rekordständen? Ja, aber man muss das relativieren: Wir haben einen Konjunkturfrühling, allerdings trotz irrer „Gelddruckerei“ mit Wachstumsraten, die vor der Krise bestenfalls Durchschnitt gewesen wären. Und wir haben einen zentralbankbefeuerten Aktienboom.

Alles also sehr fragil und mit Notenbankmethoden am Leben erhalten, die eigentlich nur als kurzfristige Notfallmedizin gedacht waren. Wie das alles ausgeht und wie Notenbanken und Politik aus dieser Nummer halbwegs unbeschädigt herauskommen, werden wir erst sehen. Wir haben die Krise also halbwegs bewältigt, aber zu wenige Lehren daraus gezogen. Für die nächste, die sicher kommt, sind wir deshalb zu wenig gerüstet.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2017)

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