Leitartikel

Der tragische Tod eines Rekruten und die Konsequenzen

Bundesheer am Pranger
Bundesheer am PrangerAPA/GEORG HOCHMUTH
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Wieder einmal steht das Bundesheer am Pranger. Plädoyer für ein nüchternes Urteil angesichts großer öffentlicher Erregung.

Zum tragischen Tod des jungen Grundwehrdieners nach einem Hitzemarsch scheint das Urteil längst gesprochen: Bundesheer hetzt Soldaten in den Tod! Unerträgliche Zustände beim Bundesheer! Sadistische Ausbildner quälen die Rekruten! So oder ähnlich liest man es in Zeitungskommentaren und sozialen Netzwerken. Nicht nur die Ausbildner in Horn, das gesamte Bundesheer steht plötzlich am medialen Pranger.

Aber ist das auch gerechtfertigt? Nicht nur angesichts der nun bekannt gewordenen Ergebnisse der medizinischen Untersuchungen scheinen die raschen Urteile hinterfragenswert. Generell wäre statt öffentlicher Erregung eine nüchterne Beurteilung der Fakten und etwas mehr Zurückhaltung angebracht. Und man darf getrost darauf vertrauen, dass die Justiz in der Lage ist, Fehlverhalten im konkreten Fall aufzudecken und zu sanktionieren. Aber zweifellos gilt auch: Der tragische Vorfall in Horn darf nicht folgenlos bleiben, strukturelle Missstände sind offenzulegen und müssen Anlass sein, die Ausbildung im Heer generell infrage zu stellen.

Mehrere Fragen wären zu klären. Die erste knüpft unmittelbar an den aktuellen Anlassfall an: Ist es wirklich sinnvoll, mitten in einer Hitzeperiode Ausbildungseinheiten auf den Plan zu setzen, die die Rekruten schon bei normalen Temperaturen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen? Ein gesunder, austrainierter 18-Jähriger wird auch einen Hitzemarsch schaffen. Aber es ist eben Tatsache, dass nur ein Teil der 18-Jährigen wirklich fit ist. Spielt man mit deren Leben? Und zu welchem Zweck? Man wird ja nicht ernsthaft annehmen, dass eine Ausbildung, die unter Extrembedingungen vonstattengeht, irgendeinen Lerneffekt hat. Nicht ganz so einfach wird es sein, diese Erkenntnis in allgemeingültige Regeln zu gießen. Hitzemärsche bei 38Grad scheinen nicht so sinnvoll. Aber wo ist die Grenze? Bei 30 Grad? Bei 25? In Wirklichkeit wird man auf das Fingerspitzengefühl der Ausbildner vertrauen müssen, was zumutbar ist und was nicht.

Das gilt auch für das zweite Thema: Wie geht man mit gesundheitlichen Beschwerden um? Auch da ist die Frage, was ist Geraunze angesichts anstrengender Übungen, und was ist ein ernsthaftes gesundheitliches Problem, nur im Einzelfall zu klären. Aber dass militärische Ausbildung auch an die körperlichen Grenzen der jungen Soldaten gehen kann, sollte man nicht prinzipiell ablehnen. Das hat durchaus auch positive Effekte.

Prinzipiell reformbedürftig ist dagegen die medizinische Betreuung. Diese findet beim Bundesheer bekanntermaßen nur in einer Schmalspurvariante statt. Bei einem lebensbedrohlichen Vorfall wie dem aktuellen erst einmal gemütlich mit dem Lkw in die Kaserne zu fahren ist eine Gefährdung von Menschenleben. Da müsste gute medizinische Betreuung viel schneller zum Einsatz kommen.

Bleibt noch die Frage, wie es mit der Menschenführung aussieht. Gibt es sie noch, die sadistischen Ausbildner, mit einer rüden Sprache, die in unserer Zeit nichts mehr verloren haben sollten? In letzter Zeit hatte man den Eindruck, dass dieses Problem drastisch abgenommen hat. Bei der Bundesheer-Beschwerdekommission haben sich über die Jahre immer weniger Grundwehrdiener gemeldet (was durch einen Anstieg der Beschwerden von Offizieren und Unteroffizieren wegen dienstrechtlicher Angelegenheiten aufgefangen wurde). Aber möglicherweise spiegelt der Bericht die Realität nur teilweise wider. Vielleicht fürchten die Rekruten zu Recht negative Konsequenzen, wenn sie sich an die Kommission wenden. Hier gäbe es ein weites Betätigungsfeld für wirklich unabhängige Untersuchungskommissionen.


Natürlich hat die ganze Geschichte auch eine politische Dimension, gerade jetzt im Wahlkampf. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, von der SPÖ zum „Sicherheitsminister“ aufgebaut, ist angreifbar geworden. Er ist nun ernsthaft gefordert, nicht nur die Fakten zu eruieren, sondern auch Konsequenzen zu ziehen – und sie müssen darüber hinausgehen, zwei Untersuchungskommissionen einzusetzen.

E-Mails an: martin.fritzl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2017)

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