Leitartikel

Die gefährliche Drohung der Krankenkassenreformer

THEMENBILD: SOZIALVERSICHERUNG / HAUPTVERBAND DER SOZIALVERSICHERUNGSTRAeGER
THEMENBILD: SOZIALVERSICHERUNG / HAUPTVERBAND DER SOZIALVERSICHERUNGSTRAeGERAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Wenn die Kassenleistungen einmal vereinheitlicht sind, gibt es kein einziges Argument mehr für den wuchernden Kassenwildwuchs im Land.

Jetzt haben wir wieder eine mehrere Hunderttausend Euro teure Studie über die Reform der Sozialversicherungen auf dem Tisch. Und sie sagt im Wesentlichen dasselbe wie die vorigen: Im Sozialversicherungsbereich gibt es ordentliches Effizienzsteigerungspotenzial, die Leistungen gehören vereinheitlicht, und die unübersichtliche Anzahl von Sozialversicherungsträgern gehört auf ein vernünftiges Maß gestutzt.

Ein Reformszenario also, über das wir seit vielen Jahren diskutieren. Das aber leider sehr schwer umzusetzen ist. Denn die Sozialversicherungen stehen ja unter Selbstverwaltung der Sozialpartner, man kann in dieses System also nicht so einfach hineinregieren.

Und die Beteiligten führen, wie das in Österreich ja auch in anderen Bereichen nicht unüblich ist, eine erbitterte Abwehrschlacht gegen jede noch so kleine Änderung, die ihre kleinen Pfründe (etwa zahlreiche unnötige Versorgungsposten für verdiente Parteigänger im Management der zahlreichen unnötigen Kleinkrankenkassen) bedrohen.

Allerdings, muss man sagen, ist ein bisschen Bewegung ja schon ins Gefüge gekommen. An der in so gut wie allen einschlägigen Studien verlangten Vereinheitlichung der Kassenleistungen, die die Gesundheitsministerin und der Sozialminister gestern angekündigt haben, wird im Hauptverband ja schon seit Längerem heftigst und durchaus ernsthaft gearbeitet.

In den Ministeraussagen von gestern schwingt allerdings eine recht gefährliche Drohung mit: Die Anpassung der Kassenleistungen soll nach oben erfolgen. Das wäre, um ein Beispiel an den Haaren herbeizuziehen, ungefähr so, als wollte man eine Pensionsreform nach dem Motto „Nationalbankpensionen für alle“ durchziehen.

Die Vereinheitlichung der Kassenleistungen wird also vorerst einmal etwas kosten. Und zwar nicht wenig: zwischen 170 und 391 Millionen Euro. Nur so zur Erinnerung: Die Krankenkassen krebsen meist am Break-even herum, heuer werden sie wieder ein Defizit einfahren. Die Reform wird im ersten Schritt also zu einer deutlichen Verschlechterung der finanziellen Lage der Sozialversicherungen führen.

Und – wir sind ja in Österreich – diese Situation wird sich dann wohl verfestigen. Denn fix ist vorerst einmal die Vereinheitlichung der Leistungen. Was danach kommt, steht in den Sternen. Die wirklich großen, in der Studie genannten Einsparungsbrocken (beispielsweise die zu lange Verweildauer in den Spitälern) haben mit der Kassenstrukturreform ja nicht allzu viel zu tun.

Dieses seit Langem bekannte Problem hätte man ganz ohne teure Studie längst angehen können. Aber hier treffen Einsparungsnotwendigkeiten der Kassen auf unausgelastete Spitalskapazitäten der Länder. Und wie solche Matches auszugehen pflegen, wissen wir Gamsbartföderalismusgeplagte aus Erfahrung zur Genüge. Dieses Einsparungspotenzial wird in weiten Teilen wohl eher theoretisch bleiben.


Was mit einiger Sicherheit nicht kommt, ist die Reduktion der 21 Sozialversicherungsträger und 17 Krankenfürsorgeanstalten auf ein vernünftiges Maß. Das ist zwar wirtschaftlich keine wirklich primäre Angelegenheit: Die Verwaltungskosten der österreichischen Sozialversicherungsträger sind im internationalen Vergleich eher niedrig und die 75 Mio. Euro, die dabei maximal gespart werden könnten, sind zwar nicht nichts, spielen bei Gesamtkosten des Gesundheitswesens in der Größenordnung von einem Zehntel des BIPs aber auch keine wirklich tragende Rolle.

Die Sache hat allerdings große Symbolkraft: Wir – Sozialpartner, Lokalpolitiker, Parteilobbyisten – lassen uns unsere Versorgungsspielwiesen nicht nehmen. Da könnt' ja ein jeder kommen!

Deshalb sei hier ganz klar gesagt: Wenn es österreichweit einheitliche Krankenbeiträge und einheitliche Kassenleistungen gibt, dann gibt es kein Argument mehr für den Kassenwildwuchs. Kein einziges! Auch wenn das ein paar an politische Freunderln zu vergebende Geschäftsführerposterln kostet.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2017)

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