Der Prophet der Klimareligion

Jetzt wissen wir, was „Deus ex Machina“ heißt: Barack Obama stieg in Kopenhagen aus seiner Maschine.

Wann genau aus der Umweltbewegung eine Weltreligion geworden ist, lässt sich schwer sagen. Schon in ihren Anfängen wurde sie jedenfalls maßgeblich von Menschen mitgetragen, deren Engagement religiöse Motive hatte. „Bewahrung der Schöpfung“ hieß das Motto dieser grünen Christen oder christlichen Grünen. Sie wagten in den 70er-Jahren den Aufstand gegen die Mullahs der Technikgläubigkeit, deren Autorität durch den Ölschock von 1973 ins Wanken geraten war.

Zunächst war also die Umweltbewegung eine Bewegung der Skeptiker. Statt mit einer neuen Offenbarung aufzuwarten, stellte sie die herrschenden Dogmen von der technischen Machbarkeit von allem und jedem infrage. So, wie das Christentum nicht von Beginn an Staatsreligion und Herrschaftsapparatur gewesen ist, begnügten sich auch die frühen Anhänger der Umweltbewegung damit, sich um die Interessen der Benachteiligten und Unterdrückten zu kümmern. Ihre Klientel waren die Anrainer stinkender Fabriken, die menschlichen und tierischen Opfer der Agrarindustrie, die Verlierer im globalen Wettlauf um natürliche Ressourcen.

Wie viele Erneuerungsbewegungen vor ihr hat die Umweltbewegung begriffen, dass es von Vorteil ist, neue Ideen mit alten Machtmitteln zu verbreiten.

Den entscheidenden Schritt in Richtung Weltreligion machte die Umweltbewegung also erst dann, als sie sich nach einer ausgiebigen Antitechnikphase darauf besann, was das entscheidende Machtinstrument der von ihr bekämpften Technikgläubigkeit gewesen war: die Wissenschaft. Erst als der apokalyptische Gaia-Kult, der seine Anhänger mit kräftigen Bildern von Racheakten der geschundenen Erdgöttin in Form von Sintfluten, Schlammlawinen und Dürrewüsten versorgte, sich mit den sogenannten exakten Naturwissenschaften verband, konnte das Dogmengebäude Gestalt annehmen, das heute so prachtvoll vor uns steht: Jeder katholische Moraltheologe muss vor Neid erblassen, wenn er sieht, wie exakt sich in der neuen Klimaweltreligion ein Zusammenhang zwischen Sünden und Strafen berechnen lässt. Dass unter den Würdenträgern der Klimareligion nicht wenige zu finden sind, die gleichzeitig die Katholiken dafür geißeln, dass sie nichts gegen die Umwandlung der „Frohbotschaft“ des Evangeliums in die „Drohbotschaft“ der Amtskirche unternehmen, ist eine ziemlich feine ideengeschichtliche Ironie.

Jeder Gott hat seinen Propheten. Und seit Freitagfrüh haben wir auch eine zeitgenössische Interpretation dessen, was „Deus ex Machina“ heißen könnte: Da stieg Barack Obama, der Präsident der Vereinigten Staaten, aus seinem Flugzeug, um im Namen der Erdgöttin ans Erlösungswerk zu schreiten. Und er sagte doch tatsächlich: „Ich bin gekommen, um zu handeln.“ Wer das Glück hatte, in seinem Religionsunterricht in der Bibel zu lesen statt Steven Spielbergs Filmografie zu studieren, hat eine Ahnung davon, welche Bedeutung der Satz „Ich bin gekommen, um...“ hat.


Wer auf den parareligiösen Charakter der gegenwärtigen Klimadebatte hinweist, setzt sich natürlich dem Verdacht aus, zu jenen Spinnern zu gehören, die den Klimawandel an sich oder auch nur den anthropogenen Anteil an der Erderwärmung der letzten 20Jahre leugnen (vielleicht erleben einige von uns ja auch noch den Erlass eines Klimawandelleugnungsverbotsgesetzes). Er muss damit rechnen, wie ein Häretiker behandelt zu werden. Auch hier hat sich das Repertoire nicht wirklich verändert. Am wirkungsvollsten ist es, den Häretikern vorzuwerfen, im Interesse einer fremden politischen Macht zu agieren. Welcher, ist nicht so wichtig: Erdöllobby, Autolobby, Atomlobby, geht alles ganz gut.

Ginge es nicht tatsächlich um die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, könnte man getrost warten, bis die Klimareligion den Weg aller Machtreligionen geht: den der dogmatischen Verknöcherung. So, wie irgendwann niemand mehr geglaubt hat, dass ein Priester weiß, durch wie viele Rosenkränze der Makel eines unkeuschen Gedankens von der Seele gewaschen werden kann, wird irgendwann auch keiner mehr glauben, dass die Klimaforscher wissen, wie viele Autofahrten es braucht, um die Sintflut auszulösen.

Es wäre schade, wenn das einen Pendelschlag zurück zur gedankenlosen Energieverschwendung auslöste, denn der wäre für uns alle lebensgefährlich. In Kopenhagen wird kein neuer Klimakatechismus verabschiedet werden. Gut so: Auch die Klimareligion wird erst nach einer Phase der Säkularisierung mit einer liberalen Demokratie kompatibel sein.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2009)

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