Leitartikel

Wie Spaniens Premier Rajoy den katalanischen Separatisten hilft

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Die harte Antwort auf das Unabhängigkeitsvotum stärkt bei den Katalanen nur den Willen zur Trennung. Dabei gibt es noch Spielraum für Verhandlungen.

Nicht wenige internationale Diplomaten blicken derzeit ungläubig auf die Rebellionsszenen im Nordosten Spaniens. An einen Sezessionskonflikt mitten in Europa will noch keiner so recht glauben, schon gar nicht im touristisch so hippen, so weltoffenen und wirtschaftlich so entwickelten Katalonien. Doch je näher das von Madrid mit Vehemenz verbotene Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien rückt, desto realer scheint das bis dato unvorstellbare Szenario: Erstmals könnte ein EU-Staat zerbröseln.

Denn jeder Tag führt zu einer neuen Eskalationsstufe: Da sind einerseits die immer aufgebrachteren Millionen, die seit Tagen die Straßen Kataloniens blockieren und mit wehenden Sezessionsfahnen auf ihr Recht zur Selbstbestimmung pochen. Sie sind keineswegs Vertreter einer gut organisierten radikalen Gruppierung: Für die Unabhängigkeit demonstrieren – vom Kind bis hin zum Pensionisten – Menschen jedes Alters und aus jeder sozialen Schicht. Angefeuert werden sie von ihrer separatistischen Regionalregierung, die Bürgerkriegsstimmung verbreitet und sich als Opfer des spanischen Unterdrückers stilisiert. Mit Erfolg: Der unscheinbare Carles Puigdemont, der als zögerlicher Regierungschef eine wackelige, heterogene Koalition anführt, ist auf einmal zu einer Art katalanischem Braveheart aufgestiegen und so stark wie noch nie zuvor in seinem politischen Leben: Vergessen sind die mühsamen Dauerregierungskrisen und Feilschereien mit den Regierungspartnern. Seit Monaten geht's ja nur noch um die Unabhängigkeit.

Aber die wohl effektivste Schützenhilfe für die separatistische Causa kommt derzeit aus Madrid. Die Regierung von Premier Mariano Rajoy lässt sich bereitwillig auf das katalanische Drama ein und spielt überzeugend die Rolle des Goliaths: Jetzt droht man mit der Verhaftung des Regionalchefs wegen zivilen Ungehorsams, davor wurden bereits mehr als ein Dutzend katalanische Beamte in Polizeigewahrsam genommen, öffentliche Büros durchwühlt und Millionen „illegaler Stimmzettel“ konfisziert. Die Regierung hat schon eine ganze Horde paramilitärischer Guardia-Civil-Kräfte nach Katalonien geschickt, um das „illegale“ Votum zu verhindern. Die lokale Polizei wurde de facto entmachtet. Keine Frage: Rajoy zeigt, wie ernst er es mit seinem Referendumsverbot meint. Das Gesetz hat er auf seiner Seite: Dieses Votum ist formal ein Verfassungsbruch, es verstößt gegen das Prinzip der Unteilbarkeit der spanischen Nation. Fraglich ist aber, wie effektiv man rechtsstaatliche Prinzipien mit Verhaftungen und paramilitärischen Truppen durchsetzen kann – bei seit Wochen demonstrierenden Massen, rebellischen Regionalpolitikern und widerwilligen Lokalpolizisten. Die Aktion scharf des konservativen Regierungschefs droht ein trauriges Lehrbeispiel dafür zu werden, wie man einen Konflikt bewusst in die Luft gehen lässt.

Vielleicht setzt der Premier auch darauf. Denn mit dieser Politik der harten Hand punktet Rajoy bei nationalistischen Wählern – und lenkt bewusst von lästigen Korruptionsskandalen ab, die seine Minderheitsregierung belasten. Rajoy ist übrigens nicht ganz unbeteiligt an der separatistischen Renaissance in Katalonien: Unter seiner Führung hat die Volkspartei gegen eine Reform des katalanischen Autonomiestatuts geklagt. 2010 wurde das Statut daraufhin vom Verfassungsgericht blockiert (weil sich die Katalanen darin als Nation bezeichneten). Davor hatten aber die Parlamente in Madrid und Barcelona sowie die Katalanen in einem Votum grünes Licht dafür gegeben. Seit der Klage gehört Separatismus in Katalonien zum Meinungsmainstream – davor war es das Projekt einer linksradikalen Minderheit.


Die Trennung muss aber nicht das letzte Wort sein. Immer noch ist die Hälfte der Katalanen gegen eine Unabhängigkeit – und das trotz der von Madrid und Barcelona aufgeheizten Stimmung. Es gibt Spielraum für Verhandlungen: Möglicher Kompromiss könnte etwa eine Steuerautonomie für Katalonien sein. Dafür müssten Politiker in Barcelona und Madrid bereit sein, auf Augenhöhe zu verhandeln. Dazu scheint aber derzeit niemand bereit zu sein.

E-Mails an:susanna.bastaroli@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2017)

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