Leitartikel

Das rote Einmaleins der Selbstbeschädigung

In der SPÖ wird offenbar über eine Wahlanfechtung nachgedacht. Damit deklariert man sich bereits vor dem Wahlsonntag als schlechter Verlierer.

Der Schlagabtausch zwischen der ÖVP-Generalsekretärin und dem SPÖ-Geschäftsführer in der „ZiB?2“ war ein seltsames Schauspiel. Nicht nur weil Christoph Matznetter Elisabeth Köstinger in vergangen geglaubter Machomanier abkanzelte (wäre interessant, was die SPÖ-Frauen dazu sagen), sondern weil  nach 15-minütigem Austausch der nur semi-gut parierten Beschuldigungen abrupt die Tonart gewechselt wurde. Nichts wolle man lieber, als gemeinsam alles aufklären. Auf zum neuen Stil.

Wer so spricht, darf sich nicht wundern, wenn Wähler zu Zynikern werden. Immerhin redet der Bundeskanzler bereits vom „größten politischen Skandal in der Zweiten Republik“ – und nein, er meint nicht den in der eigenen Partei. Vielmehr bereitet er offenbar rhetorisch den Boden für eine Wahlanfechtung vor, über die in der SPÖ nachgedacht wird. Das berichtet auch „Der Standard“, der fragt, „ob das überhaupt noch reguläre Bedingungen für die Abhaltung einer Wahl sind“. Die Antwort lautet schlicht: Ja. Der Verfassungsgerichtshof prüft nur Vorgänge, die von staatlicher Seite beeinflusst sind. Was politische Gegner tun, mag unfair oder sogar strafrechtlich relevant sein, aber es ist kein Grund, alle Bürger erneut zur Wahl zu schicken.

(Eigen)Verantwortung. Insofern kann man das, was die SPÖ macht, nur unter Panik verbuchen. Und als selbstbeschädigend unsympathisch. Man verhält sich ähnlich wie die – damals von ihr heftig kritisierte – FPÖ bei der Bundespräsidentschaftswahl. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die SPÖ vor allem Aufklärungsbedarf bei sich selbst hat und sich sonst nur auf düstere Andeutungen, man sei unterwandert worden, stützt. Mit so einem Verhalten deklariert man sich bereits vor dem Wahlsonntag als schlechter Verlierer. Die Frage ist auch, wie die SPÖ überhaupt auf den Gedanken kommt, dass sie nicht einfach selbst schuld sein könnte. Denn auch wenn man die roten Datenlecks beiseite lässt, und sogar wenn man die (selbst verantwortete) Facebook-Affäre ausblendet, wäre ein roter Sieg schwierig. Und Christian Kern hat sein Scherflein dazu beigetragen. Mit dem Kriterienkatalog wollte sich die SPÖ davon befreien, auf ewig über ihr Verhältnis zur FPÖ definiert zu werden. Das war richtig und erwachsen. Aber man hat vergessen, die dahinterliegenden Richtungsfragen zu klären. Diese Unentschlossenheit verfolgte die SPÖ im ganzen Wahlkampf, sie spiegelte sich im Beraterteam und auch im Chef wider. Kern wollte allen alles sein und wurde zwischen Stammtischvideo und De-facto-Koalitionsabsage an die FPÖ aber vor allem eins – wenig greifbar.

Nun hofft er auf einen „Jetzt erst recht“-Effekt? Aber worauf soll der gründen? Früher warnte die SPÖ im Endspurt traditionell vor Schwarz-Blau. Mit Betonung auf Blau. Das geht in der Post-Kriterienkatalog-Ära nicht mehr. Ist jetzt Türkis das neue Blau der SPÖ?

Rein (neuro)wissenschaftlich ist übrigens sich gegen jemanden zu entscheiden oft ein stärkeres Motiv als für jemanden zu stimmen. „Dagegen“ zu sein aktiviert im Gehirn dieselben Regionen wie das Essen von Schokolade. Menschlich, aber kein feiner Zug. Aber der ist in dem Wahlkampf ohnehin abgefahren.  

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2017)

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