Zurück in die 50er-Jahre? Oder nur in die 70er-Jahre?

APA/HELMUT FOHRINGER
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Sinngemäß lässt sich die Kritik an der künftigen Regierung wie folgt zusammenfassen: Es drohe der konservative Backlash. Ist das so?

Die Bewunderer von Bruno Kreisky unter den Sozialdemokraten und anderen Linken – also eh alle – schwelgen gern in Erinnerungen an die Goldenen 70er-Jahre. Nicht wenige sehnen sie sogar wieder herbei. Vollbeschäftigung, Ausbau des Sozialstaats, Demokratisierung der Gesellschaft sind mit Vorliebe verwendete Schlagwörter.

Die 70er-Jahre – und als Fortsetzung auch noch die Anfänge der 80er-Jahre – gelten als das sozialdemokratische Jahrzehnt. Mit einem Schulsystem übrigens – mit Ziffernnoten ab der 1. Klasse Volksschule –, zu dem die künftige schwarz-blaue Regierung nun zurückkehren möchte. Da ist von Kreisky-Nostalgie bei Sozialdemokraten und anderen Linken dann aber keine Spur.

Auch die nun laut „Kronen Zeitung“ von Schwarz-Blau geplante Erhöhung des Wehretats auf drei Milliarden Euro pro Jahr würde in etwa dem Verteidigungsbudget des Jahres 1985 entsprechen. Aufrechterhaltung und Schutz der Neutralität, hätten Sozialdemokraten früher gesagt, kosten eben Geld.

Haben wir es hier also mit einem konservativen Backlash zu tun? Zurück in die 50er-Jahre – wie es die Gegner der kommenden Regierung gern polemisch insinuieren (und manche wohl auch selbst glauben)? So weit wird man nicht zurückgehen müssen. Es reichen, wie es aussieht, die 70er-Jahre.

Von der Nachkriegs- zur Migrationsgesellschaft

Aber auch dieser Befund hat keine Allgemeingültigkeit. Die Voraussetzungen sind heute wesentlich andere. Die 70er-Jahre, geprägt von der autochthonen Nachkriegsgesellschaft, kannten die Herausforderungen der späteren Migrationsgesellschaft noch nicht. Und diese ist in erster Linie auch der Grund für die nun vorgeschlagenen Änderungen im Bildungssystem.

Ob Ziffernnoten hier tatsächlich helfen werden, weiß man nicht. Das bisherige System hat allerdings dazu geführt, dass viele Kinder nach Jahren im Schulsystem noch nicht anständig lesen, schreiben und rechnen können. Die Antwort darauf ist nun der gegenteilige Schulversuch: Es werden wieder strengere Maßstäbe angelegt. Auch das erfolgt nach der Methode Trial and error. Im besten Fall funktioniert es. Im schlechtesten ist es schlechter als bisher. Wobei: Viel schlechter als jetzt kann es wahrscheinlich auch nicht mehr werden.

In anderen Belangen – Autonomie, Lehrerbewertung – wird die Uhr allerdings nicht zurückgedreht, in manchen sogar weitergedreht: Der Ausbau der Ganztagsschulen war in den 70er-Jahren noch kein großes Thema, gilt heute aber auch unter Konservativen als Common sense.

Viele von ihnen waren es auch, die das alte sozialdemokratische Dogma der allgemeinen Wehrpflicht während der Berufsheer-Volksbefragung 2013 hochhielten. So gesehen ist die Aufwertung der Miliz samt mehr Budget im Programm einer Regierung aus ÖVP und FPÖ auch wieder logisch. Und zu den verpflichtenden Milizübungen von einst kehrt man ja nicht zurück. So weit geht der Backlash dann doch nicht.

Die Mitte-rechts-Wende

Wie man überhaupt sagen muss: Was will man von einer Mitte-rechts-Regierung, deren türkise Exponenten vor und während des Wahlkampfsauch noch ein Stückchen weiter nach rechts gerückt sind, denn anderes erwarten als einen Paradigmenwechsel in der Regierungspolitik? Für diese Wende wurden ÖVP und FPÖ schließlich auch gewählt.

Das heißt, auf das Wesentliche reduziert: mehr Eigenverantwortung, stärkere Investitionen in die Sicherheit, eine restriktive Zuwanderungspolitik, keine bildungspolitischen Abenteuer à la Gesamtschule. Das war, so lässt sich vermuten, der Auftrag des Wählers vom 15. Oktober 2017.

Die Opposition – wenn SPÖ-Chef Christian Kern weiter so eifrig gegen Schwarz-Blau antwittert, wird er bald die Frequenz von Donald Trump erreicht haben – darf dagegen Opposition betreiben. So wie es in einer Demokratie eben sein soll. Wünschenswert wäre es, wenn sie dies nicht reflexhaft, sondern reflektiert täte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2017)

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