Leitartikel

Wie Amerika das Fundament des fairen Welthandels untergräbt

Trump boykottiert mit der WTO ein System, das die USA selbst miterrichtet haben. Europa sollte nicht zulassen, dass China das Führungsvakuum auffüllt.

Immerhin: Er ist gekommen. Lang war offen, ob sich der Teilnehmer aus Amerika überhaupt dazu herablässt, an dem Treffen teilzunehmen, das sein Chef für so sinnlos hält. Minister aus 164 Staaten reisten am Sonntag nach Buenos Aires, zur elften Konferenz der Welthandelsorganisation WTO. Aber Robert Lighthizer, US-Präsident Trumps Mann für den Handel, machte schon im Vorfeld klar, dass es dort nichts zu entscheiden gibt. Deshalb fährt er auch vorzeitig wieder heim. Sollen sie doch froh sein, dass die US-Regierung nicht gleich aus diesem Verein austritt, den sie verachtet – weil es dort nicht um die Interessen Amerikas, sondern um dem Ausgleich der Interessen aller geht.

Einmal mehr heißt es: Einer gegen alle. Einmal mehr bangt die Welt: Wie weit wird Trump gehen? Und einmal mehr kann der Polterer seinen Anhängern das Zittern der anderen als eigene Stärke verkaufen. Aber auch bei uns mögen manche leise in sich hineinkichern. Hat sich nicht die WTO als völlig unfähig erwiesen, in den eineinhalb Jahrzehnten der „Doha-Runde“ die Zölle und Barrieren im Welthandel abzubauen? Hat Trump nicht einfach den Mumm, laut zu sagen, was alle anderen schamhaft verschweigen – wie er auch mit der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem nur den Status anerkannte, den diese Stadt längst hat? In beiden Fällen ist die Lage nicht so simpel. Was wie die schelmischen Sticheleien eines Antidiplomaten wirkt, bedroht in Wahrheit den Frieden – im Nahen Osten wie im Welthandel.

Freier Warenaustausch braucht Regeln. Es war Amerika selbst, das nach dem Zweiten Weltkrieg die Führungsrolle bei der gemeinsamen Erstellung dieser Regeln übernahm. Das Gatt-Abkommen schuf die Basis für viele bilaterale Freihandelsverträge und führte 1995 zur Gründung der WTO. Auch wenn der Organisation kein großer Wurf gelungen ist, ist sie bei ihrer laufenden Rolle sehr erfolgreich: Dass keine Handelskriege den wirtschaftlichen Austausch lähmen, verdanken wir ihren Schlichtungsverfahren.

Das System funktioniert aber nur, solang alle den unparteiischen Schiedsrichter anerkennen und sich seinem Spruch beugen. Diesen Konsens kündigen die USA nun auf – auch in Taten: Sie trocknen die Jury aus, indem sie Nachbesetzungen blockieren. Von sieben Richtern sind noch vier übrig, geht es so weiter, bleibt bis Ende nächsten Jahres nur einer. Mit weniger als drei kann das Gremium keine Urteile mehr fällen.

Dabei haben es die USA öfter angerufen als jede andere Nation. Aber davon will Trump weg. Es passt ihm nicht, dass Amerika sich vor irgendjemandem beugen soll und damit seine „Souveränität“ aufgibt. Stattdessen will er bilateral drohen, Bedingungen diktieren, „dealen“ – und dabei als Weltmacht Nummer eins alle kleineren Gegner über den Tisch ziehen. Statt der Stärke des Rechts soll wieder das Recht des Stärkeren gelten, wie im Mittelalter.


Nun kann man freilich cool mit den Achseln zucken und daran erinnern, dass dieses infantile Imponiergehabe bisher zu nichts Schlimmem geführt hat. Trump rasselt mit dem Säbel und lässt sich dann eher selbst um den Finger wickeln, ob von den Chinesen oder ausländischen Konzernen. Und die ökonomischen Elementarkräfte folgen nicht dem protektionistischen Takt, den das Weiße Haus gern vorgäbe: Der Welthandel wächst, nach Jahren des Rückzugs, ausgerechnet heuer wieder stärker als die Wirtschaft im Ganzen. Aber die scheinbare Sicherheit trügt: Regeln bilden ein Fundament, und ist es einmal ausgehöhlt, bricht das Gebäude zusammen – wenn nicht heute, dann morgen.

Deshalb ist das Führungsvakuum, das die USA als bisheriger Primus inter Pares hinterlassen, gefährlich. Peking würde es gern füllen. Aber der staatskapitalistische WTO-Nachzügler ist für seine unfairen Handelspraktiken berüchtigt und für die Rolle eines Fähnrichs der Rechtsstaatlichkeit ungeeignet. Tatsächlich könnte nur Europa sie übernehmen–der Kontinent, dessen Binnenmarkt allen kleinlichen Nörgeleien zum Trotz ein Erfolgsmodell ist. Aber es gibt gerade in unseren Breiten viel zu viele, die sich lieber einigeln und eifrig gegen Freihandelsabkommen wie Ceta zetern.

E-Mails an:karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2017)

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