Leitartikel

Das Türkis-Blaue an Schwarz-Blau

(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Es wird keinen Umsturz geben, keine „neoliberale“ Wende, eventuell nicht einmal Quereinsteiger: Sondern eine Regierung im Mitte-rechts-Mainstream.

Noch steht die Ministerliste nicht. Diese ändere sich derzeit stündlich, heißt es aus Verhandlerkreisen. Eines zeichnet sich allerdings ab: Quereinsteiger dürften keine allzu große Rolle spielen. Sofern nicht doch noch der Ökonom Gottfried Haber Finanzminister wird. Oder die Unternehmerin Antonella Mei-Pochtler Wirtschaftsministerin. Wobei beide schon bisher recht eng an den Politikbetrieb angedockt waren.

Und das ist insofern erstaunlich, als sich die Regierungen zuletzt immer wieder mit Quereinsteigern geschmückt haben: ob mit Demoskopin Sophie Karmasin oder dem Strafverteidiger Wolfgang Brandstetter auf ÖVP-Seite bzw. dem Theatermanager Thomas Drozda oder der Tropenmedizinerin und Sektionschefin Pamela Rendi-Wagner auf SPÖ-Seite.

Noch erstaunlicher ist das angesichts der Tatsache, dass im Wahlkampf des Sebastian Kurz Quereinsteiger ein wesentlicher Teil seines „Zeit für Neues“-Konzepts waren. So kamen Kira Grünberg, Rudolf Taschner, Maria Großbauer oder Martin Engelberg in den Nationalrat.

Für die Regierung hingegen setzen ÖVP und FPÖ nun – Stand: Donnerstagnachmittag – auf politische Profis. Oder was sie dafür halten. Wobei die FPÖ schon im Wahlkampf ganz auf ihr herkömmliches Personal gesetzt hat. Erfahrung mit Quereinsteigern haben die Freiheitlichen in der Ära Jörg Haiders bereits gesammelt – nicht immer die besten. Eine Quereinsteigerin (mit politischer Vorerfahrung) haben sie nun voraussichtlich aber auch: Karin Kneissl.

Es könnte aber auch damit zu tun haben, dass ÖVP und FPÖ Schwierigkeiten haben, Minister von außen zu finden. Weil sich das viele nicht antun wollen: Die Verantwortung ist groß. Die Bezahlung (man frage den ehemaligen ÖBB-Chef Christian Kern) in Relation zu Spitzenjobs in der Wirtschaft nicht allzu übermäßig. Und man nimmt das Risiko in Kauf, von den Medien – heute insbesondere auch in den sozialen – durch Sonne, Mond und Sterne geschossen zu werden, wenn irgendetwas nicht passt. Und irgendetwas passt immer irgendjemandem nicht. Die Auswirkungen auf das Privatleben sind dann offensichtlich: Es gibt kaum noch eines.

So hat Sebastian Kurz etwa versucht, eine Kandidatin von außen für das Justizressort zu gewinnen – (vorerst) erfolglos. Wodurch dann recht bald Michaela Steinacker, schon bisher ÖVP-Justizsprecherin im Nationalrat, als Favoritin gegolten hat. Auch Bettina Glatz-Kremsner, Vorstand bei den Casinos Austria, will nun nicht in die Regierung wechseln.

So wie bei den politischen Projekten an sich – kleinere Lichter statt Leuchttürmen –, so zeichnet sich auch beim Personal ab, dass es eine Regierung des weitgehend Unspektakulären werden dürfte. Auch wenn deren Gegner tagtäglich den Teufel an die Wand malen, als stünde der Umsturz in Richtung Dritter Republik oder „illiberaler Demokratie“ unmittelbar bevor.

Was bevorsteht, ist vielmehr: Sebastian Kurz wird sich hinstellen und erklären, dass das, was mit der FPÖ vereinbart wurde, nun konsequent umgesetzt werde. Und das wäre im Vergleich zu den rot-schwarzen Vorgängerregierungen ja schon einmal eine Kehrtwende. Wenn es denn so kommt.

Aber kann Kurz das überhaupt – Kanzler? Er wird es mutmaßlich so handhaben, wie er es mit dem Integrationsstaatssekretariat und dem Außenministerium – in diesen Fällen durchaus erfolgreich – getan hat: mittels „learning on the job“. Im Idealfall macht ein offener Blick die mangelnde Erfahrung wett. Wobei mangelnde Erfahrung beim längstdienenden ÖVP-Regierungsmitglied, auch wenn er erst 31 Jahre alt ist, auch wieder relativ ist.

Die schwarz-blaue Regierung wird voraussichtlich die Republik nicht erschüttern. Weder inhaltlich noch personell. Sie wird weder die hohen Erwartungen vieler Anhänger zur Gänze erfüllen können noch den Hass vieler Gegner rechtfertigen. Sie wird wohl auch weniger forsch, weniger kompromisslos, weniger „neoliberal“ zu Werke gehen als Schwarz-Blau I unter Wolfgang Schüssel. So gesehen passt die Bezeichnung Türkis-Blau tatsächlich besser.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2017)

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