Er wolle seine Partei in alle Orte dieses Landes bringen, dort Bürgergespräche führen, und das alles in einer Sprache, die auch verstanden werde, erklärte Max Lercher, der neue Bundesgeschäftsführer der SPÖ, dieser Tage in einem APA-Interview. Ähnliches hat man allerdings auch schon von jedem seiner Vorgänger gehört. Von der stärkeren Einbindung der Wähler, der Mitglieder, der Landesparteien war immer wieder die Rede, einmal wollte man sogar mit einem „Roten Telefon“, verbunden mit einer Servicehotline, näher an die Menschen heran.
Es hat nur nie funktioniert. Die hehren Absichten wurden da draußen nicht wirklich ernst genommen. Was wohl damit zu tun hat, dass die Löwelstraße, dieses Synonym für einen schwerfälligen, in die Jahre gekommenen Machtapparat, auch nicht den Eindruck vermittelt hat, als würde sie es wirklich ernst nehmen.
Selbst Christian Kern, der zwar in der SPÖ sozialisiert wurde, nach einigen Jahren in Regierungsbüros und im Parlamentsklub allerdings die entscheidenden Jahre seines beruflichen Fortkommens außerhalb der Partei verbracht hat (wenn auch in enger Verbindung zu dieser, wie es im staatsnahen Bereich eben üblich ist), ist an der Partei gescheitert.
Kern, der Manager, hätte das tun sollen, was Sebastian Kurz auf ÖVP-Seite getan hat: die Partei auf den Kopf stellen. Wobei das zugegebenermaßen auch jahrelange Vorbereitungsarbeit erfordert (hätte). Und 1:1 auch nicht umlegbar ist: Der Sozialistischen Jugend die SPÖ zu überantworten, so wie die JVP die ÖVP übernommen hat, ist eher unvorstellbar. Nicht nur ideologisch, sondern auch von den Erfolgsaussichten her. Wobei das ohnehin Hand in Hand geht.
Und da wären wir schon beim zweiten wesentlichen Faktor, warum das Jahr 2017 (und eigentlich schon die Jahre davor) für die SPÖ nicht wirklich berauschend war: Nennen wir ihn der Einfachheit halber Zeitgeist. Genau genommen hat Kern diese Wahl schon verloren, als er noch gar nicht SPÖ-Chef war: auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015, als ÖBB-Chef, live vom Westbahnhof zugeschaltet in die „ZiB2“, mit Zitaten wie „Das ist nicht die Zeit für Dienst nach Vorschrift“.
Man hat Christian Kern und der SPÖ ihre spätere Kehrtwende in der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik dann nicht mehr wirklich abgenommen. Jedenfalls nicht so sehr wie Sebastian Kurz und der ÖVP. Und das Thema Migration war – auch wenn sich die SPÖ nach Kräften bemühte, es wegzubekommen – das bestimmende bei der vergangenen Nationalratswahl. Hans Peter Doskozil als Angebot war hier zu wenig. Noch dazu, da dieser – und dessen Positionen – auch von den eigenen Genossen immer wieder infrage gestellt wurde.
Und – das ist die weitere schlechte Nachricht für die SPÖ: So schnell wird sich der Zeitgeist nicht ändern. Solang das, was man heutzutage Identitätspolitik nennt, stärker wahrgenommen wird als etwa Sozialpolitik, so lang werden auch Schlagwörter à la „Sozialabbau“ in Bezug auf die neue türkis-blaue Regierung nicht verfangen.
Die SPÖ wird sich also neu erfinden müssen, inhaltlich wie organisatorisch. Oder auf etwas hoffen, was Christian Kern offenbar als Vision vorschwebt: dass die Roboterisierung die Arbeitswelt auf den Kopf stellt – womit er sich ersparen würde, die Partei auf den Kopf zu stellen. Dass also die Menschen gewissermaßen zwangsläufig (wieder) zu Sozialdemokraten würden, wenn der Staat aufgrund des Wegfalls klassischer Arbeitsplätze wieder eine stärkere Rolle bekäme.
Eine echte Arbeiterpartei ist die SPÖ schon heute nicht mehr. Sie war zuvor bereits eher eine der Mittelschichten und der Pensionisten, durch Kern kamen nun noch Jüngere aus dem akademischen Milieu dazu. Und auch viele Zuwanderer wählen sozialdemokratisch. Gerade da hat die SPÖ – und das ist durchaus im Sinn der Gesamtgesellschaft – nach wie vor eine Stärke als Integrationspartei. Denn eigene ethnisch definierte Parteien – und Versuche gab es ja bereits – wären doch eher kontraproduktiv. Dass etwa die türkische AKP einen Österreich-Ableger ins Rennen schickt, will man sich lieber nicht vorstellen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2017)
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