Leitartikel

Der überfällige Aufstand gegen die Theokraten in Teheran

Gegner des Präsidenten Hassan Rohani.
Gegner des Präsidenten Hassan Rohani.REUTERS
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Im Iran bricht sich der Frust gegen das Mullah-Regime Bahn. Der Ruf nach einem Wechsel ist nur zu verständlich, aber vielleicht ein wenig voreilig.

Für Donald Trump kamen die Proteste im Iran wie gerufen. „Die Welt schaut hin“, twitterte der US-Präsident aus seinem Urlaubsdomizil in Florida schon, als der Aufstand in Maschad, der zweitgrößten Stadt des von ihm geschmähten „Schurkenstaats“, gerade begonnen hatte. Der Atomdeal mit dem Mullah-Regime ist Trump ein Gräuel, die aggressive Außenpolitik des schiitischen „Gottesstaats“ im Nahen Osten von Syrien über den Libanon bis in den Jemen erst recht. „Zeit für einen Wechsel“ schrieb Trump in einer Eloge auf das „große iranische Volk“ am Neujahrstag, als im Iran Tränengasgranaten zischten, Wasserwerfer auffuhren und die ersten Toten zu beklagen waren.

Tatsächlich wäre es höchste Zeit für einen Wechsel in der Islamischen Republik im 40. Jahr seit der Proklamation durch Ayatollah Khomeini, seiner Rückkehr aus dem Pariser Exil und dem Sturz des ungeliebten Schah Reza Pahlevi 1979. Seither regiert im Iran die Diktatur der Theokraten. Die moderaten Kleriker-Präsidenten Khatami und Rohani standen vor allem nach außen hin für eine gewisse Liberalisierung. Mochten sie bei den Parlamentswahlen eine Mehrheit der Iraner hinter sich wissen, die Hardliner, die Revolutionsgarden und allen voran der oberste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, hielten doch die Macht in ihren Händen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wogt das Ringen zwischen den Fundamentalisten und den gemäßigten Kräften nun bereits hin und her – und auf jede Lockerung folgte stets ein herber Rückschlag.

Als sich die Studenten 1999 gegen die Repression der Freiheitsrechte erhoben, knüppelten die Sicherheitskräfte sie brutal nieder. Als sich zehn Jahre später eine organisierte Rebellion, die so genannte „grüne Revolution“, gegen die Wahlmanipulation durch Präsident Mahmud Ahmadinejad formierte, ging das Regime noch härter gegen die hunderttausenden Demonstranten vor. Sie steckte die Oppositionsführer in Hausarrest, viele junge Iraner flohen ins Ausland. Auch jetzt träumen wieder viele von einem „goldenen“ Exil im Westen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist sprunghaft angestiegen, die Perspektiven sind düster – unter anderen auch deshalb, weil die großen Verheißungen für Reformen und einen wirtschaftlichen Aufschwung nach Aufhebung der internationalen Sanktionen ausgeblieben sind. Seit dem Ende des Banns vor zweieinhalb Jahren und der Wiederwahl Hassan Rohanis, des sanften Reformers, im vorigen Mai hat sich am Status quo kaum etwas geändert.

Es ist nur verständlich, dass sich der Frust nun plötzlich Bahn bricht – ausgehend von der Provinz bis in die „heilige Stadt“ Qom und die Uniszene in Teheran. Zuerst richtete sich der Aufstand, womöglich gelenkt von Rohani-Gegnern innerhalb des Establishments, gegen die Regierung. Was als sozialer Aufruhr mit dem Unmut gegen Preissteigerungen anfing, weitete sich schnell zum politischen Protest aus. Dass sich eine junge Frau den Schleier vom Kopf riss, dass Demonstranten die iranische Nahost-Politik, die Intervention in Syrien und die Solidarität mit den Palästinensern für verfehlt halten, dass manche gar Parolen skandierten wie „Nieder mit dem Diktator“ oder „Weg mit Khamenei“ und vereinzelt den Schah preisen, ist unerhört.


Das Mullah-Regime nimmt den Aufstand so ernst, dass es die letzten freien sozialen Plattformen als virale Multiplikatoren umgehend sperrte. Die Hardliner, die Rohani und seine Regierung nach Kräften sabotieren, haben so viel an Macht und Vermögen zu verlieren, dass sie mit drakonischen Mitteln gegen die Rädelsführer vorgehen. Möglicherweise gelingt es ihnen so, den Aufstand im Keim zu ersticken. Womöglich hat der Protest jedoch längst eine Eigendynamik angenommen, die den Grundfesten des Gottesstaats gefährlich werden kann. Präsident Rohani müht sich derweil, zwischen den Kräften zu tarieren – und wird am Ende wohl zwischen alle Fronten geraten: zu liberal für die Fundamentalisten, zu loyal für die unzufriedenen Massen und für Donald Trump.

Im explosiven Gemisch des Nahen Ostens, der Dauerfehde mit den Saudis, ist zum Jahreswechsel jedenfalls ein neuer Konfliktherd dazugekommen, der den Iran vorerst politisch schwächen wird – auch in seiner Außenwirkung.

E-Mails an:thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2018)

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